trailer: „Woanders is auch scheiße!“ Herr Goosen, was will uns der Dichter damit sagen?
Frank Goosen: Et is, wat et is, ne? Hier ist es nicht schön, aber woanders ist auch nicht besser. Der Spruch entspricht dem Maximum an Romantik, die dem Ruhrgebietsmenschen zu entlocken ist, wenn er über seine Gegend spricht. Darin spiegelt sich seine Fähigkeit, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Man kann wirklich nicht behaupten, dass es hier objektiv schön wäre. Aber woanders ist es nicht besser, sondern nur hübscher.
Das Revier wird aber auch ganz schön ästhetisiert. Den Förderturm mit Sonnenuntergang gibt es doch schon auf Postkarte.
Ist doch schön, oder?
Hallo, ich stelle hier die Fragen.
Bei Ihnen war doch eben gar keine Frage drin. Also, eine Identität bildet sich auch immer über Klischees. Es gibt triviale und originellere Methoden, mit der eigenen Identität umzugehen. Aber das Triviale gehört dazu. Wenn man über Jahrzehnte verdammt worden ist und der Gegend hier überhaupt keine Schönheit zugebilligt worden ist, übertreibt man vielleicht manchmal.
Das ist auch Ihr Geschäft?
Sowieso. Die Leute nehmen das aber auch dankbar an.
Besteht nicht die Gefahr, dass das Ruhrgebiet nur noch ein Witzobjekt wird?
Nein, es geht nicht darum, das Ruhrgebiet weniger ernst zu nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer ironisch mit seiner Gegend umgehen kann, zeigt Selbstbewusstsein.
Wie stehen Sie zur Kulturhauptstadt?
Durchweg positiv. Schon beim Start haben wir gemerkt, welchen Impuls RUHR.2010 in die Region gibt. Man liest auch, dass viele Leute aus dem Ausland zu uns kommen. Aber wichtiger noch ist die Wirkung nach innen. Das sah man bei den Schachtzeichen, bei dem Day of Song und beim Stillleben. Die Leute haben ein unheimliches Bedürfnis, sich selbst zu feiern und sich gemeinsam als Ruhrgebiet zu begreifen. Das Versprechen, dass die Region zusammenwachsen soll, hat die Kulturhauptstadt bereits grandios eingelöst.
Glauben Sie an die Nachhaltigkeit der Veranstaltung? Gibt es 2011 noch Kultur an der Ruhr?
Wie es um die jeweilige kommunale Kultur bestellt sein wird, wird man sehen. Die Gefahr ist natürlich gegeben, dass im nächsten Jahr weniger Geld für Kultur da ist. Dem gilt entgegenzutreten. Aber die Situation jetzt kann keine Begründung dafür sein zu sagen, man hätte die ganze Kulturhauptstadt nicht machen sollen. Die positiven Wirkungen von RUHR.2010 werden überwiegen.
Sind Sie mit dem Beitrag von Bochum zur Kulturhauptstadt zufrieden?
Mit welchem?
Eben!
Tatsächlich ist die Stadt Bochum im Kulturhauptstadtjahr nicht besonders sichtbar geworden. Das ist enttäuschend. Ich habe mit anderen versucht, in diesem Jahr ein neues Theater zu eröffnen. Das ist uns leider auch nicht geglückt. Es wird viel geredet, und wenig passiert.
Woran hat es gehapert?
Im Moment scheitert es an der Entwässerung. Es ist nicht klar, wohin die Scheiße fließt, und wer für die Rohre verantwortlich ist. Das ist Kishon. Das ist noch mehr. Das ist banal. Eine siebenstellige Investition in den Kulturbereich scheitert an der Entwässerung. Dem Investor Leo Bauer ist es nicht zuzumuten, ein Theater zu bauen, da bis 2015 Hausbesitzer die Dichtigkeit der eigenen Kanäle bis zum öffentlichen Kanalnetz nachweisen müssen. In unserem Fall wäre das eine Strecke von mehreren hundert Metern. Ursprünglich wollte die Stadt Bochum eine neue Erschließungsstraße bauen und damit auch einen neuen Kanal. Aber dann kam die Haushaltssperre. Ich frag mich immer, wie die Leute die Uni und Opel hierhin gekriegt haben. Ich glaub, damals waren Leute zuständig, die haben zuvor vor Stalingrad gelegen, sie sagten: „Wir diskutieren nicht, wir machen das einfach.“
Nicht nur Goosen, auch Sloane bekommt in diesem Jahr kein neues Konzerthaus.
Zurzeit sieht es nicht so aus, als würde das Konzerthaus jemals kommen. Oder vielleicht doch? Mit der Marienkirche? In abgespeckter Version? Ich bin da nicht auf dem neuesten Stand. Ich habe zu viel mit Fußball zu tun.
Genau. Was macht der Verein für Leibesübungen?
Der steigt wieder auf, weil ich Zweite Liga immer als persönliche Beleidigung empfinde. Der Verein für Leibesübungen Bochum 1848 e.V. hat sich in den letzten Monaten problematisch dargestellt. Es fehlt der Spirit, um sich eine Nische zwischen Dortmund und Schalke zu erkämpfen. Das Wiederaufstiegszertifikat ist der Knaller. Der Fan wird belohnt, wenn der Verein nicht aufsteigt. Für jedes verlorene Heimspiel bekommt er Geld zurück. 100% allerdings nur, wenn er es sich auf die nächste Dauerkarte anrechnen lässt. Auf die er, nachdem der Aufstieg nicht geklappt hat, natürlich total scharf ist. Will er es sich bar auszahlen lassen, kriegt er nur 50%. So nimmt man die Leute nicht mit. Man hätte sagen sollen: Wer in diesem Jahr mit uns durch die Scheiße geht, der kriegt die Dauerkarte in der nächsten Saison für die Hälfte oder 25% billiger. Das wäre eine klare, positive Sache gewesen. War dem Verein aber wahrscheinlich zu teuer.
Rot-Weiß Oberhausen macht es vor. Da ist ein Komiker Präsident. Wann werden Sie Präsident vom VfL Bochum?
Niemals! Ich würde mir das nie antun. Ich stehe dem Verein sehr nahe, möchte mir aber immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Hajo Sommers macht das in Oberhausen ganz klasse. Aber ich bin da nicht der Typ für.
Interviewserie „Über Tage“
„Über Tage“ handeln, ohne „unter Tage“ zu vergessen. trailer-ruhr spricht mit streitbaren Menschen über das Ruhrgebiet.
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