Mit ihrem Ausstellungsprogramm zur aktuellen Malerei hat sich die Neue Galerie Gladbeck weit über das Ruhrgebiet hinaus einen Namen gemacht. Sie hält das hohe Niveau nun auch in der Ausstellung mit Andrea Lehmann und lässt hier doch einen künstlerischen Sonderweg zu Wort kommen. Die 1975 geborene Malerin, die Meisterschülerin bei Markus Lüpertz an der Düsseldorfer Kunstakademie war, ist schon seit etlichen Jahren als herausragende Vertreterin eines figurativen Realismus etabliert; mit ihren bildnerischen Inszenierungen zwischen Wirklichkeit und Traum, Horror und Nostalgie ist sie dem Wesen des Menschen auf der Spur. Die malerischen Schilderungen sind ebenso klar wie geheimnisvoll, sie laufen im Zueinander von Frauenleibern und von Mischwesen und in der Überblendung verschiedener Raumebenen vermeintlich aus dem Ruder und sind doch genau kalkuliert. Meist verfügen diese Bilder über eine Fülle an Details, die in erstaunlich unterschiedlichen Dimensionen in den Bildraum hinein gestaffelt sind. Zugleich treffen in einer intuitiven Kombinatorik verschiedene Epochen aufeinander.
Ein Ton des Bedrohlichen und Fragilen schält sich heraus, der sich durch das gesamte Werk von Andrea Lehmann zieht und die Apokalypse zwischen Arkadien, enger Kammer und städtischem Terrain verortet. Assoziationen an das Fin de Siècle schwingen mit. Die Holzböden leiten über zu Kulissen im Mittel- oder Hintergrund; die Motive sind häufig der antiken Mythologie entnommen und denken diese weiter, Tiere, vor allem Reptilien und Pferde, spielen mitunter eine wichtige Rolle. Etliche Bilder tragen den Reiz des 19. Jahrhunderts: mit bärtigen Zauberkünstlern und fahrenden Reisenden, auch mit den Freakshows auf der Kirmes und den Séancen. Das Hell-Dunkel der Lichtführung weist noch auf die Anfänge der Fotografie und deren eigentlich unbedarfte Versuche, die Wirklichkeit zu fälschen und die Geister zu beschwören … Vieles ließe sich zu noch dieser so reichen Malerei berichten, die uns erst erschreckt und dann immer mehr umgarnt. Phantastisch!
„Andrea Lehmann – Die ganz große Zahl“ | 5.9.-31.10. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Erste Berührungen
Die Malerei von Vivian Greven in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/23
Erinnerungen, die sich formen
Melike Kara in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 12/22
Die Ironie der sichtbaren Dinge
Justine Otto in der Neuen Galerie Gladbeck
Malerei und Plastik vereint
Justine Otto in der Galerie Gladbeck
Zwischen Welten
Simone Lucas in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 07/21
Menschen in Räumen
Tim Eitel in der Neuen Galerie Gladbeck – Kunst in NRW 04/21
Die Räume der Bilder
Candida Höfer in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 10/20
Malerei aus Skulptur
Thomas Scheibitz in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/20
Für die Malerei
Sven Kroner in Gladbeck – Ruhrkunst 01/20
Gegenwart und Geschichte
Jüngste Bilder von Helena Parada Kim in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/19
Zustand des Träumens
Leiko Ikemura in Gladbeck – Ruhrkunst 12/18
Nudel, Mops und Knollennase
Loriot in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Ruhrkunst 03/25
Hannibal, ungeschönt
Latefa Wiersch im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 03/25
Gewebt, geknüpft, umwickelt
Sheila Hicks in Bottrop – Ruhrkunst 02/25
Wovon Bunker träumen
„Radical Innovations“ in der Kunsthalle Recklinghausen – Ruhrkunst 02/25
Auf Augenhöhe
Deffarge & Troeller im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/25
Runter von der Straße
Graffiti-Künstler im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/25
Die Dinge ohne uns
Alona Rodeh im Kunstmuseum Gelsenkirchen – Ruhrkunst 12/24
Strich für Strich
„Zeichnung: Idee – Geste – Raum“ in Bochum – Ruhrkunst 12/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24