Ein Dutzend Menschen in einer Reihe, alle hochkonzentriert. Ihre Finger liegen auf zwei Tasten, der Blick klebt auf einer kleinen Silberkugel, die in irrwitziger Geschwindigkeit durch bunte Landschaften aus Lichtern, Farben und Hindernissen rast. Ein Druck auf die Taste und ein Hebel katapultiert die Kugel zielsicher über eine verschlungene Bahn übers ganze Spielfeld. Dann prallt sie gegen einen Balken, wird abgelenkt und kullert schnurstracks zwischen die beiden Hebel, mit denen die Spieler die Welt unter der Glasscheibe zu kontrollieren versuchen. Die Konzentration fällt ab, ein Lächeln, ein lockerer Spruch. Nun darf der Nächste sein Können unter Beweis stellen. Viele kennen Pinball oder Flipper noch aus ihrer Jugend, vom Campingplatz, dem Italienurlaub oder der Kneipe. Beim Freeplay.ruhr e.V. in Herten kann jeder dieser Nostalgie an 40 historischen und neuen Flippertischen nachspüren – oder Flipper als Sport neu erleben.
Hunderte Automaten entwickelt
„Wir sitzen klar auf dieser Retrogeschichte“, sagt Heinz Berges, Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins, der sich der Förderung von Kunst und Kultur rund um das schnelle Spiel verschrieben hat. Damit meint er die allgemeine Retrowelle nach den 80er- und 90er Jahren, der Zeit also, in denen Flipper auch weit verbreitet waren. Dieses Nostalgiegefühl gilt für die Vereinsmitglieder wie auch die Gäste, die im Vereinsheim in der Hertener Innenstadt für bis zu fünf Stunden an den blinkenden Geschicklichkeitsspielen um den Highscore ringen. Einmal im Monat, immer am ersten Samstag, öffnet der Verein seine Pforten in der Hertener Innenstadt. „Der typische Gast ist zwischen 40 und 50 Jahren alt“, sagt Heinz Berges. Es sind aber auch einige Ausreißer nach oben und unten zu sehen.
Wer will, kann an diesen offenen Tagen auch in die Kultur, Geschichte und Technik hinter den Flippern eintauchen. Heinz Berges führt wesentliche technische Neuerungen der Displays vor, vom elektromechanischen Zählwerk bis zum TFT-Bildschirm. Das Spielprinzip mit den mindestens zwei Flippern – den namengebenden Hebeln – und der Kugel, die nicht runterfallen darf, ist seit Jahrzehnten unverändert. Und doch jedes Mal anders: Hier muss der Spieler eine Invasion vom Mars abwenden, indem er die fliegende Untertasse trifft, dort gilt es, mit Flash Gordon über eine Rampe das Waldbiest herauszufordern. Über Jahrzehnte wurden Hunderte von Tischen entwickelt, jeder mit eigenen Metaphern und Mechaniken. Sie heißen Fish Tales, Xenon oder No Fear. Sie verwenden Elemente aus Fußball, Abenteuerromanen oder sind ein luxuriöses Merchandise für Terminator 2, Guns N’ Roses und die Harlem Globetrotters.
Geschick statt Glück
Aber ist Pinball nicht einfach ein Glücksspiel? Überhaupt nicht, da ist sich die weltweite Spielergemeinschaft einig. Es geht darum, die Muster des Spieltisches zu erkennen und mit Präzision und Reaktionsvermögen zu meistern. Oder, wie es Philippe Zraul von Freeplay.ruhr poetischer ausdrückt: Es geht darum, „in die chaotische Welt unter Glas Kontrolle reinzubringen“. Zraul gelingt das ziemlich gut: Zurzeit steht er auf Platz 110 der Weltrangliste.
Neben den offenen Samstagen organisiert der Verein größere und kleinere Turniere, etwa die Tournamanet Academy Series. Dabei können auch unerfahrene Spieler Punkte für die weltweite Liste sammeln. Schließlich kann der Weg eines Flipperspielers auch zu deutschlandweiten Turnieren und schließlich zu Weltmeisterschaften führen.
Die Begeisterung fürs Flippern wächst. Die flipperbegeisterten Jugendlichen von damals sind oft auch die Spieler von heute. Damit steigen Nachfrage und die Preise, aber auch die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, auch für alte Geräte. Und wer sich den Luxus eines eigenen Flippertisches nicht leisten kann (das sind die meisten), wird schnell zum Stammgast bei Freeplay.ruhr.
Freeplay.ruhr e.V. | Offener Tag jeden 1. Samstag im Monat, 16-21 Uhr | Ewaldstr. 25, Herten
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