Romy Schmidt über „Bilge Nathan“ und über Lessing als bloßes Mittel zum Zweck – Premiere 11/15
Romy Schmidt ist die neue regieführende Chefin im Bochumer Prinz-Regent Theater. Nach einer wilden Ibsen-Inszenierung folgt nun ein besinnlicher Lessing? Wir denken nicht. „Bilge Nathan“ hat auch nur am Rande mit Gotthold Ephraim Lessings Ringparabel-Drama zu tun. Hier geht es zwar auch um Toleranz, aberIntegration zu spielen, scheint in dem Klassenzimmerstück viel leichter als sie zu leben. Ben und Mehmet sind zunehmend irritiert voneinander, und dann passiert es: Mitten in ihre Als-ob-Toleranz platzen die unerledigten Konflikte. Also Lessing 2.0?
trailer: Frau Schmidt, Nathan war sicher auch nicht so richtig weise, oder? Romy Schmidt: Sicher nicht. Allwissend ist ja niemand.
Wie tolerant kann ein Mensch überhaupt sein? Das hat seinen Endpunkt noch nicht gefunden. Da müssen wir alle sehr hart dran arbeiten, an der Toleranz. Nicht nur dafür labern, sondern auch handeln am eigenen Tun. Und weil dieses Stück „Bilge Nathan“ so schön dahinführt, ohne den Zeigefinger anzusetzen, machen wir dieses Stück.
Ist das eine Inszenierung mit Blick auf die Jugend?
Romy Schmidt
Foto: Sandra Schmuck
Romy
Schmidt, geboren im Osten Deutschlands, studierte Kommunikations- und
Medienmanagement in Stuttgart. Sie war Stipendiatin der
Drehbuchschule Interspherial Pictures Stuttgart. Bereits während
ihres Studiums verfolgte sie über den Weg der Regie- und
Dramaturgieassistenz ihren Plan, in der Theaterregie tätig zu
werden. Sie arbeitete als Regieassistentin und Regisseurin in
Stuttgart, Bamberg, Bregenz (A) und Darmstadt und ist seit 2009
freiberuflich tätig. Vor zwei Jahren entschied sich Schmidt aus
künstlerischer Neugier für das Ruhrgebiet. Zur Spielzeit 2015/16
hat sie die Leitung des Prinz Regent Theaters übernommen.
Würde ich nicht sagen. Obwohl wir mit dem Stück verstärkt in die Klassenzimmer gehen wollen, weil sich das anbietet, aber wir werden es auch hier im Theater zeigen. Was ist schon ein reines Jugendstück? Das ist immer auch ein Stück für alle.
Also auch kein Abiturstück, weshalb ja wohl überall Joseph Roths „Hiob“ läuft? Nein. So denke ich überhaupt nicht. Ich finde, dass beispielweise auch Märchen sowohl für Erwachsene als auch für Kinder da sind.
Was ist im Klassenzimmer-Stück von Thilo Reffert denn noch von Lessing? Einiges ist da anders. Zum einen leben wir nicht mehr zur Zeit der Aufklärung, wir leben in einer ganz anderen Realität, sprechen eine andere Sprache. Die Ringparabel ist ein großartiger rhetorischer Schlagabtausch, der seinesgleichen sucht. Aber was bei uns sofort anders ist: Hier hat man Figuren, mit denen man sich identifizieren kann. Das hat man im Lessing so gar nicht, das ist ein reines Thesenstück. In unserer Inszenierung läuft vieles ganz stark über die Charaktere der Schauspieler, die ich ausgewählt habe, und dann identifizierst du dich, gehst mal mit der einen Meinung mit, mal mit der anderen, und irgendwann landest du bei dir selbst und stellst dir selbst die Frage, was würdest du denn über Toleranz denken? Du stellst dich nicht sofort so auf eine Seite. Das ist anders. Man merkt zu Beginn auch gar nicht, dass es ein Stück über Toleranz und Migration ist. Man kommt sich gut dabei selbst auf die Schliche, was sich bei Lessings Stück, wie ich finde, nicht so ergibt, auch weil es natürlich aus einer komplett anderen Zeit stammt. Zwei Mal habe ich bei dem Stück assistiert und fünf Mal habe ich es gesehen, und wenn man das nicht in einen zeitgenössischen Rahmen packt, der die Leute heute anspricht oder einen vernünftigen Grund angibt, warum man das macht, dann funktioniert es für mich auf der Bühne nicht mehr. Thilo Refferts „Bilge Nathan“ ist aber inhaltlich ohnehin eine ganz andere Geschichte.
Der olle Lessing quasi nur noch als Mittel zum Zweck? Ja. Der ist Mittel zum Zweck. Wenn in diesem Stück der freischaffende Schauspieler, der Kohle braucht, weil freie Schauspieler es nun mal schwer haben, dann muss der überlegen, was machen wir, wo sind die Fördertöpfe, was kann man denn wo noch irgendwie abgreifen. Und dann sieht er halt beim googeln oder sonstwo: Aha! – für das Thema Migration gäbe es noch hier und da ein bisschen Kohle. Und dann denkt er sich, gut, dann setzen wir den Förderern mal den Lessing hin. Das ist schöne deutsche Literatur, das wird auf jeden Fall funktionieren. Aber was nehmen wir denn da: Natürlich, „Nathan, der Weise“ da geht es so um Religion und Toleranz. Schick, schick, schick. Da sind ein Muselmann und ein Jude, und für Integration gibt es Geld aus dem Fördertopf. Dann braucht man für die Inszenierung noch einen „Quoten-Kanaken“, also Türken oder was weiß ich was, und dann engagiert er also den Mehmet... und los geht „Bilge Nathan“ im Prinz Regent Theater.
Wann kam dieses Stück auf den Spielplan? Vor der großen Flüchtlingswelle oder danach? Ich habe ungefähr vor einem Jahr und sechs Monaten angefangen, die Spielzeit zu planen. Entschieden für dieses Stück habe ich mich ungefähr vor einem dreiviertel oder einem Jahr.
Also nicht als Resultat auf die Welle? Dass es jetzt so eine Aktualität hat, kann man ja nicht absehen. Aber grundsätzlich ist so was immer aktuell oder ist mir ganz wichtig.
Ist denn Toleranz überhaupt lernbar? Ja, finde ich schon. Durch Mitgefühl und Menschlichkeit kann man viel lernen.
Aber ist einseitige Toleranz nicht eher gefährlich? Sobald man tolerant ist und Gewaltlosigkeit praktiziert, ist das nicht gefährlich, sondern positiv. Ich denke, dass Toleranz so stark ist, dass sie so eine Überzeugungskraft hat, dass es dann immer Kompromisse gibt und man die andere Seite erreicht. Das hoffe ich zumindest.
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