„Leonardo da Vinci – Bewegende Erfindungen“ heißt die Ausstellung, bei der der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) interaktive Modelle und geniale Maschinen nach dem Vorbild Leonardo da Vincis zeigt. Als Doppelausstellung in den Ruhrtalstandorten Zeche Nachtigall Witten und in der Hattinger Henrichshütte. Von Fluggeräten bis zu Musikinstrumenten haben Studenten der Fachhochschule Bielefeld die Erfindungen des Genies der Renaissance genau unter die Lupe genommen und zu neuem Leben erweckt. Selber ausprobieren ist bei den dabei entstandenen Apparaten ausdrücklich erwünscht.
trailer: Herr Peters, warum gibt es keine Universalgenies mehr?
Michael Peters: Gute Frage. Der Umfang des Wissens hat einfach in dem Maße zugenommen, dass es für einen Geist nicht mehr zu fassen ist, und vor allen Dingen nicht mehr in einer Lebenszeit.
Bei da Vinci war das noch möglich ...
Bei da Vinci war das noch möglich. Und die Betrachtung des Genies ist ja nicht nur aus der Sicht der Zeitgenossen, sondern auch aus der Nachwelt im Vergleich mit anderen entstanden.
Und da Vinci passt ins Ruhrgebiet?
Es passt gut in die Standorte des LWL-Industriemuseums, das ja den Auftrag hat, den Wandel der Lebensverhältnisse im Industriezeitalter zu erforschen, zu dokumentieren und in seinen Ausstellungen zu vermitteln. Der Wandel der Lebensverhältnisse war im Industriezeitalter klar durch Technik geprägt – und auch stark durch sie verursacht. Und insofern kommt die Entwicklung der Technik immer wieder in den Fokus unserer Betrachtung. Gerade für die Bereiche in der Zeche Nachtigall im Ruhrtal, eine Industrieanlage, die schon im 18. Jahrhundert existierte und im 19. Jahrhundert dann den Sprung zum Industriestandort gemacht hat, ist Technik sehr wichtig gewesen. Dadurch ergibt sich auch unser Blick auf die Erfinder und Ingenieure.
Und die Ausstellung wird von der Uni Bielefeld ständig erweitert.
Die Fachhochschule Bielefeld stellt ihren Studenten im Studiengang Produktentwicklung seit nunmehr acht Jahren die Aufgabe, sich die Entwürfe und die anderen Arbeiten da Vincis erst mal anzuschauen, sich bekannt und vertraut zu machen, um dann aus seinen technischen Entwürfen funktionierende Maschinen im Modellmaßstab zu entwickeln. Das führte dazu, dass aus wenigen Modellen mit jedem Studienjahr weitere Modelle hinzugewachsen sind.
Was ist neu?
Ganz neu ist hier das wunderschöne Modell eines Schwingflügelflugzeugs, das von einem Menschen angetrieben werden kann. Ein Funktionsmodell, dass man wirklich in Bewegung setzen kann, und wo man erkennen kann, dass Leonardo aus Studien des Vogelflugs eine Vision und eine Idee entwickelt hat. Ein anderes neues Modell ist das Spiegelkabinett. Das ist tatsächlich so groß, dass man hineingehen kann. Es ist achteckig und zeigt deshalb ganz viele Facetten dessen, der darin steht und sich selbst betrachtet.
Ich habe auch eine Theaterbühne gesehen.
Leonardo war am Hof von Mailand zuständig nicht nur für Bauten, Weganlagen, und Kriegstechnik, sondern auch für Theateranlagen und Musik. Er hat dafür auch Bühnenwerke und Kostüme entworfen und eine Drehbühne entwickelt, die kompliziertere Aufführungen möglich machte.
Warum ist die Ausstellung zweigeteilt?
Das Wachstum der Ausstellung hat dazu geführt. Wir haben die mittlerweile auf rund 80 Modelle angewachsene Sammlung so eingeteilt, dass die Bereiche Flugwesen, Maschinen und Musik in Witten zu sehen sind, während die Bereiche Brückenbau, Kriegstechnik, Maschinenelemente nun in Hattingen sind.
Wie viel Spielpotential steckt in den Exponaten?
Das ist ja das Wunderbare. Diese langsame und stetige Entwicklung dieses Modellbau-Pools hat auch dazu beigetragen, dass schon einmal entworfene Modelle immer wieder überarbeitet und verfeinert wurden und so sehr gut funktionieren, auch unter den manchmal harten Bedingungen eines Ausstellungsbetriebs, wenn Kinderfinger damit in Berührung kommen oder auch etwas kräftiger zupackende Hände.
Ist so eine Ausstellung eine Konkurrenz zu dem, was man sonst noch zeigt?
Jedes der Industriemuseen beruht ja auf einem vorhandenen Baudenkmal. Die Sonderausstellungsbereiche, die im Zuge der Museumsbegründung mitgeschaffen wurden, sollen ja gerade die Chance bieten, wechselnde Themen zu zeigen. Das kann zum Beispiel auch ein Thema „reiner“ Kunst sein, wird aber von uns in irgendeiner Weise thematisch an das Großthema des Industriemuseums angebunden. In diesem Zusammenhang ist Leonardo als Künstler einfach ein hervorragendes Beispiel. Den Aspekt betonen wir zwar weniger, aber er kommt natürlich in seinen Entwürfen zum Ausdruck. Ein technischer Entwurf von einem Künstler sieht ganz anders aus, ist sehr viel lebendiger als ein normaler Ingenieurs-Entwurf.
Sind also auch Zeichnungen zu sehen?
Wir haben in diesem Fall die Kodizes nicht im Faksimile oder gar im Original hierher geholt. Mit jedem Modell ist eine Darstellung der Ursprungszeichnung von Leonardo verbunden – also des Entwurfs, der dort realisiert worden ist. Und es gibt noch einige Zeichnungen, die das Sachgebiet repräsentieren. Wir haben aber keine Tafelausstellung gemacht; tatsächlich stehen die Modelle und das, was man mit ihnen machen kann, im Vordergrund.
Und Leonardo da Vinci war auch noch der erste Bioniker?
In der Tat, so kann man sagen. Er hat ja sehr viele Studien zur Anatomie gemacht, musste dafür Leichen sezieren, weil er den Aufbau des Körpers verstehen wollte. Für Leonardo war ja aus seinem Weltbild heraus die Welt ein großes, miteinander vernetztes Ganzes. Wir sehen das heute wieder ähnlich. Da Vinci war in dieser Hinsicht geradezu ein Universalist, hat Mathematik, Astronomie, Anatomie und Technik und Kunst als ein Ganzes gesehen. So sind anatomische Studien von ihm in den funktionierenden technischen Gegenständen, die er entworfen hat, wiederzuerkennen. Und als Bioniker hat er versucht, den Vogelflug nachzuahmen.
„Leonardo da Vinci – „Bewegende Erfindungen“ I bis Mai 2012 I Zeche Nachtigall Witten und Henrichshütte Hattingen I 02302 93 66 40
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