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Ein neuer, dicker Kanal eröffnete in Bochum die Möglichkeit, 46 Meter Wärmetauscher-Module zu installieren, die die Energie des Abwassers rückgewinnen
Foto: Emschergenossenschaft

Gar nicht anrüchig: Wärme aus dem „Schietwater“

30. Juli 2015

Ständig herrschen 14 Grad in der Kanalisation – die kann man zum Heizen anzapfen – Innovation 08/15

Zugegeben – nicht unbedingt ein Sommerszenario: Man sitzt in der schön temperierten Badewanne, liest einen interessanten Magazinbeitrag über Energieeffizienz und Wärmerückgewinnung. Und ärgert sich an dem Gedanken, dass die ganze warme Pracht – immerhin gut 150 Liter aufgeheiztes Wasser – gleich im Abfluss verschwinden wird. Auf Nimmerwiedersehen. Ob man denn nicht? – So ungefähr muss es sich in Bochum zugetragen haben, wo inzwischen ein gutbesuchtes Hallenbad mit Wärme versorgt wird, die man dem Abwasserkanal entnimmt. Die Idee ist nicht anrüchig, aber ausbaufähig.

Wer‘s erfunden hat? „Diese Methode findet man relativ häufig in der Schweiz“, verrät Adrian Treis. „Dort hat man schon vor einer ganzen Weile gesetzlich solche Ersatzmaßnahmen angeordnet.“ Treis ist Projektleiter bei der Emschergenossenschaft, die das Bochumer Nordwestbad zusammen mit den Stadtwerken energetisch umrüstete. Dort wird im Tagesverlauf eifrig geduscht, andererseits muss das Schwimmbecken temperiert werden und auch die Umgebungsluft. Also zapfte man den Abwasserkanal an: 46 Meter langlebige Edelstahlmodule ziehen, von einer Wärmepumpe ausgebeutet, so viel Energie aus dem Schmuddelwasser, dass ein nachgeschaltetes Blockheizkraftwerk nur noch das letzte Bedarfsviertel beisteuern muss. Die CO2-Einsparung gegenüber einer konventionellen Erdgas-Beheizung summiert sich auf 220 Tonnen pro Jahr. Ein weiterer Nebeneffekt: „Wir haben uns für die nächsten 15 Jahre verständigt, das Bad nicht zu schließen.“

Nordwestbad
Foto: Presseamt Stadt Bochum

Das Nordwestbad hat eine neue Wärmeversorgung – und wird mindestens 15 Jahre nicht geschlossen.



Dabei ist der Temperaturschatz aus der unterirdischen Röhre auf den ersten Blick gar nicht so groß: „Ein Monatsmittel von 14 Grad im Wasser, in den Wintermonaten sind’s noch zehn Grad.“ Nun, das ist so viel, wie man mit Geothermie-Bohrungen auch aus 70 bis 90 Metern Tiefe zutage fördert. Aber die Menge macht’s. Und lockt als Pilotprojekt eine Menge Besucher an. „Wir mussten Interessenten am Anfang ziemlich bremsen“, erinnert sich Treis, „so viel Betrieb war da. Obwohl ja eigentlich wenig zu sehen ist, weil die Module ständig überströmt sind.“ Vermutlich riecht es auch nicht ganz appetitlich nach allen möglichen menschlichen Hinterlassenschaften, die sich als „Bio-Schleim“ auf den Modulen ablagern. Stattdessen hat der Projektleiter Fotos aus der Bauphase der 800.000 Euro teuren Einrichtung aufgehoben, damit man die Dimension erahnen kann.

Wärme aus Brack- und Kackwasser: Eigentlich ist die Idee naheliegend. So naheliegend, dass man sich wundert, weil es noch zu keinem Nachfolgeprojekt bei der Essener Emschergenossenschaft kam. Andererseits auch wieder nicht, denn für eine wirtschaftliche Nutzung müssen vier Faktoren zusammenkommen: genügend Abwasser, genügend Wärmebedarf und ein mindestens 80 Zentimeter breiter und möglichst gerader Kanal. Außerdem sollte die alte Heizung vorteilhafterweise ihr Lebensende bald erreicht haben. Die Emscher-Gesellschaft hält für Städteplaner eine entsprechende „Energiekarte“ bereit, die zeigt, wo die Situation günstig erscheint. Und untersucht selbst gerade wieder zwei neue Objekte in Oberhausen und Dortmund.

Auch im europäischen Kontext tut sich was. Ein internationaler Forschungsverbund aus Spanien, Italien, Großbritannien und Deutschland knöpft sich gerade Kläranlagen und ihre Energiebedarfe vor. Die werden nämlich – man staune – mit etwa einem Prozent der gesamten Energieproduktion des Kontinents veranschlagt. Mit „Enerwater“, an dem auf deutscher Seite die Fachhochschule Köln und der bergische Aggerverband beteiligt sind, will man den Verbrauch um mindestens zehn Prozent drosseln. Zudem sind ohnehin schon etliche Kläranlagen mit Biogasanlagen ausgerüstet. Sie fangen die Methanausdünstungen der Reinigungsmikroben auf und wandeln sie in Strom und Wärme um. Mit Wärmepumpen könnte man noch einiges holen, meint Aggerverband-Abteilungsleiter Hubert Schauerte: „Allerdings besser im gereinigten Ablaufwasser. Denn unsere Mikroben brauchen schon eine gewisse Wohlfühl-Temperatur.“

Können wir die Wärme aus dem fließenden Untergrund nicht künftig viel besser nutzen als bisher? „Da ist ein erhebliches Potenzial vorhanden, und es wird völlig zu Unrecht so wenig beachtet“, meint Jens Willmes von der Bochum-Arnsberger ISW Ingenieur-GmbH. Sein Büro hat ein solches Projekt für ein Arnsberger Schulzentrum ins Rennen geschickt – es blieb wirtschaftlich nur zweiter Sieger. „Aber man kann sich Förderung holen: beim Forschungszentrum Jülich oder für experimentelles Bauen auch vom Land.“ Sein Bochumer Architektenkollege Dietmar Riecks, selbst mehrfach mit Energie-Auszeichnungen behängt, hält solche Rückgewinnung im einzelnen Haus für schwierig, weil die Abwassermengen fehlen: „Aber da, wo viel Duschwasser anfällt, wäre es eine intelligente Lösung. Beispielsweise in der Hustadt“, dem hochverdichteten Bochumer Uni-Wohnquartier.

Wer’s erfand, ist geklärt. Und wer hat daraus gelernt? Die Stadt Hamburg. Die rüstete nämlich einen ganzen Abschnitt der Hastedtstraße mit 215 Wohnungen hauptsächlich auf Wärme aus dem „Schietwater“ um. Vorläufige Klimabilanz neben der Heizkostenersparnis: Von den einst 454 Tonnen CO2, die bei der alten Nachtspeicherheizung anfielen, sind jetzt 75 Prozent eingespart. Geht doch.

TOM JOST

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