trailer: Herr Ape, Sie sind Künstler und Veranstalter, mit wem soll ich zuerst sprechen?
Fred Ape: Da ich das in Personalunion mache, ist mir das egal.
Frage ich also zunächst den Veranstalter: Kulturhauptstadt, ist das was?
Naja, RUHR.2010 geht mir keinesfalls am Arsch vorbei. Und ich werde meinen Teil schon irgendwie leisten, unter anderem im Spiegelzelt am “U“ von Juli bis zum September. Aber das Alltagsgeschäft muss auch weitergehen. Sonderveranstaltungen kann sich das Cabaret Queue nicht leisten. Dafür ist die Arbeitsbelastung zu hoch. Schön wäre es, wenn unsere Veranstaltungen in den offiziellen Veröffentlichungen der Kulturhauptstadt erwähnt würden. So könnten wir ein Publikum ansprechen, das sonst vielleicht nicht zu uns kommen würde. Unsere Bühne erhält übrigens keine Subventionen. Andere Einrichtungen wie das Fritz-Henßler-Haus, das Dietrich-Keuning-Haus, das Freizeitzentrum West, das Fletch Bizzel, das Theater im Depot und das domicil sind Teil des städtischen Kulturbetriebes, oder sie bekommen Zuschüsse. Da sind die Mitarbeiter und Einrichtungen sozusagen dienstverpflichtet, an der Kulturhauptstadt teilzunehmen. Ist ja auch gut so. Und kämpfen müssen die und wir, also alle. Wer allerdings als städtischer Angestellter seine Kleinkunstbühne an die Wand fährt, bleibt immer noch städtischer Angestellter. Wir wären auch persönlich bankrott.
Das klingt, als wäre RUHR.2010 nicht gerade Erste Sahne.
Ich komme in meiner Eigenschaft als Musikkabarettist gerade von einer kleinen Tour durch Süddeutschland. Eigentlich ist das Kleinkunst-Publikum im Süden sehr fit. Aber ich habe dort kaum jemanden gefunden, der überhaupt wusste, dass das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt ist. Und wenn doch, dann wusste man nur von Essen als Kulturhauptstadt. Ich habe da tatsächlich Überzeugungsarbeit geleistet.
Der Protestsänger ist in Sachen PR unterwegs?
Das hat sich in letzter Zeit geändert. Ich habe wirklich eine Art Lokalpatriotismus entwickelt. Im restlichen Deutschland wird noch immer die Nase gerümpft, wenn es um das Ruhrgebiet geht. Ich habe ein Lied geschrieben, in dem ich mir mit einem Bayernfan ein Spiel des BVB gegen Bayern anschaue, das die Bayern prompt 5:1 gewannen. Eine völlig fiktive Geschichte natürlich. Das Lied heißt „Hör zu, Bayer!“ und geht lustiger Weise völlig konform mit der Message der Kulturhauptstadt.
Gibt es Berührungspunkte zwischen der RUHR.2010-GmbH und der Alternativszene?
Als es vor zwei Jahren noch keine Wirtschaftskrise und keine Haushaltssperren gab, wurde zu kleinen Zirkeln eingeladen. Dort wurde schon sehr detailliert geplant. Es wurden Verantwortliche für die Stadtteile gesucht, Stadtteilfeste geplant. Das U war in den Köpfen schon fertig gebaut. Die Seebühne stand quasi kurz vor der Einweihung. Aber das ist ja für Dortmund typisch: Irgendetwas läuft immer schief. Durch die Haushaltssperre sind viele Projekte eingestampft worden.
Herrscht also eher Katastrophenstimmung in der Stadt?
Die Probleme in Duisburg sind noch viel schlimmer als hier. Verhältnisse wie in Marxloh gibt es in Dortmund nicht. Auch Gelsenkirchen hat größere Probleme. Manches Projekt von RUHR.2010 in Bochum kann nicht realisiert werden.
Was ist so besonders an Ihrer Heimatstadt?
Dortmund ist zerrissen. Der Mikrokosmos Dortmund weist eine unglaubliche Schichtung auf. Im Süden fahren die dicken Porsches, und im Norden traut man sich abends kaum auf die Straße. All diese Unterschiede und Widersprüche muss man erst einmal bewältigen. Ich habe mal ein Lied geschrieben, das hieß „Außerhalb von Mittendrin“. Wenn ich nicht im Ruhrgebiet bin, denk ich immer, ich muss es verteidigen. Wenn ich dann aber hier bin, denk ich: Das gibt’s doch nicht. Kann man hier leben? Kann man hier alt werden?
Sind Sie alt geworden?
Ich habe mich natürlich verändert. Bei „Ape, Beck und Brinkmann“ war ich der wütende Protestsänger, bei „Ape und Feuerstein“ war ich der ironische Kabarettist. Inzwischen sehe ich mich als ruhigen Liedermacher nach dem Motto „Talking ´bout my generation“. Natürlich altert mein Publikum mit mir. Aber es sind eben Leute, die jedes Theater und jede Kleinkunstveranstaltung einem Abend vor dem Fernseher vorziehen.
Hat der gereifte Ruhrgebietsindianer Fred Ape inzwischen gemerkt, dass man Geld oder zumindest das, was man damit kaufen kann, sehr wohl essen kann?
Der Text von „Rauchzeichen“, auf den hier angespielt wurde, stammt aus dem Jahr 1976 und war nicht unbedingt einer meiner besten, aber eben doch der Erfolgreichste. Natürlich könnte ich jetzt angesichts der Wirtschaftskrise sagen: „Seht mal, habe ich schon vor 35 Jahren von gesungen.“ Aber auch, wenn man gegen den Strom schwimmt, schwimmt man im Fluss. Du kommst aus den Mechanismen gar nicht raus. Natürlich habe ich auch ein Bankkonto. Natürlich gibt es auch in meinem Leben all diese Zwänge. Ich konnte immer von meiner Kunst leben, und wir haben uns sogar inzwischen ein kleines Häuschen gekauft, das allerdings zu einem nicht unerheblichen Teil noch der Bank gehört. Ob Bausparen indianisch ist? Ich weiß es nicht.
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