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Probenaufnahme zu „Fräulein Else“
Foto: Kevin Barz

„Ich bin ein Freund von Bühnentoden“

30. August 2012

Kevin Barz inszeniert beim Spieltrieb im Theater Duisburg Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ – Premiere 09/12

Ein Theater-Solo, adaptiert nach Schnitzlers Novelle, die den existenziellen Konflikt einer jungen Frau zwischen Elternhaus und Gesellschaft, ihrem Freiheitsdrang und ihren sexuellen Phantasien auch heute noch hochaktuell erzählt. trailer sprach mit Regisseur Barz und Michael Steindl, dem Leiter des Spieltrieb in Duisburg.

trailer: Herr Steindl, Herr Barz, beim Spieltrieb in Duisburg geht es nicht ums Zocken?
Michael Steindl:
Vielleicht geht es doch ein bisschen ums Zocken. Es geht um die Lust am Theaterspielen. Da es in Duisburg kein eigenes Schauspielensemble gibt, aber mit dem Foyer III einen wunderschönen Raum unterm Dach, haben wir vor sieben Jahren diesen Jugendlichen zur Verfügung gestellt, damit sie unter professioneller Anleitung Theater machen können. „Fräulein Else“ wird die 24. Premiere dort sein. Jeder, der Lust hat mitzumachen, ist eingeladen. Für Projekte mit kleiner Besetzung wird zwar nicht gecastet, aber da werden Leute aus dem Spieltrieb gezielt angesprochen. Aber bei einem großen Projekt wie in der kommenden Spielzeit Wedekinds „Frühlings Erwachen“ ist es immer auch ein bisschen Zockerei: Man setzt ein Stück auf den Spielplan und weiß gar nicht, ob wer kommt.

In Schnitzlers Novelle hat sich der Vater von Else auf jeden Fall verzockt?

Kevin Barz
Foto: Sascha Kreklau
Kevin Barz (Jahrgang 1989). Erste „Spieltrieb“-Teilnahme im Rahmen der Szenischen Lesung „Lenz“ 2008. Von 2010 bis 2012 studierte er an der Ruhr-Universität Bochum Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Im Herbst 2012 wechselt er an das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen.

Kevin Barz: Er hat sich definitiv verzockt. Er hat sich nicht nur einmal verzockt – der verzockte sich mehrmals. An dem Punkt, wo das Stück ansetzt, steht für ihn alles auf dem Spiel. Entweder wird das Geld besorgt oder er geht ins Zuchthaus. Else, eine junge Frau, befindet sich bei reichen Verwandten im Urlaub und dann bekommt sie dieses Telegramm, wo ihr mitgeteilt wird, dass ihr Vater Geld braucht. Es gebe da einen Kunsthändler, den die Eltern noch aus alten Zeiten kennen. Da soll sie hingehen und um 30.000 Gulden bitten.
Steindl:
Was es heute wert wäre, weiß ich nicht, Schnitzler schrieb die Novelle 1924, sie spielt aber 1896, und um die Jahrhundertwende verdient ein Arbeiter monatlich rund 160 Gulden.
Barz:
Es ist auf jeden Fall eine enorme Summe. Else bittet den Kunsthändler, dieses Geld vorzustrecken. Der sagt: Okay, aber nur unter der Prämisse, dass du dich nackt vor mir ausziehst. Hier entsteht der Konflikt: Macht sie es, um die Familie zu retten und dem Druck, der auf ihr lastet, nachzukommen, oder bleibt sie bei sich und sagt: Nein, ich möchte das nicht.

Funktioniert dieser Konflikt überhaupt noch im 21. Jahrhundert?
Barz:
Das ist eine spannende Frage. Ich habe das Stück zuerst an der Universität kennengelernt. Da gab es eine ganz unterschiedliche Rezeption durch die Leser. Es wurde diskutiert und die männlichen Studenten, was man gar nicht denken würde, haben gesagt, dass sie das nicht machen würden, sich dafür auszuziehen. Die weiblichen Studenten konnten das nachvollziehen. Das Spannende an der Novelle ist ja auch, dass Else so eine Ambivalenz entwickelt. Auf der einen Seite diese Empörung – der schreckliche Gedanke: Ich muss mich ausziehen. Auf der anderen Seite der Reiz daran, dieser exhibitionistische Gedanke. Viele Studentinnen konnten auch diesen Reiz nachvollziehen. Das hat mir gezeigt, dass die Novelle auch bei unserer Moralvorstellung heute noch einen Stellenwert hat.

Das Stück ist ein Monolog.
Ist das im Jugendclub einfach zu kommunizieren?

Michael Steindl
Foto: privat
Michael Steindl (Jahrgang 1966), Regie- und Dramaturgie-Ausbildung an der Spielstatt Ulm. Freie Theaterarbeit in Berlin und Ulm. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt am Main. Von 1998 bis 2004 Dramaturg am Schauspiel Essen. Seit November 2004 verantwortlich für das Schauspiel-Programm am Theater Duisburg.

Steindl: Das weiß ich nicht. Es ist ein Experiment. In der Philosophie des Projekts steckt der Ansatz, das Sprechtheater nach all seinen Möglichkeiten auszuloten. Wir haben das große Ensemblestück gemacht, wir haben Kammerstücke gemacht, wir haben alte Sachen gemacht, wir machen neue Sachen. Jetzt gibt es zum ersten Mal den Punkt, wo sich Kevin Barz, der bisher als Spieler bei den Projekten dabei war, gernemal ausprobieren wollte, und wo mit Jennifer Riahi – die auch in verschiedenen Projekten gespielt hat und als Portia in „Der Kaufmann von Venedig“ auch auf der großen Bühne stand – jemand da ist, der die Rolle der Else spielen kann. Es ist ein Versuch. Ob er funktioniert, nicht funktioniert: no risk, no fun. Das Theater Duisburg feiert im Herbst sein hundertstes Jubiläum, da wollen wir eine Zeitreise machen von 1912 bis 2012. Als es um das Konzept ging, haben wir auch über den Spieltrieb gesprochen und ich habe Kevin verschiedene Titel vorgeschlagen. Auf die Else ist er total angesprungen. Und auch andere Koordinaten spielen bei der Spielplangestaltung eine Rolle. Wir wollen ja mit dem Jugendclub als Projekt, wo jeder mitmachen kann, am Tag der Offenen Tür Goethes Faust präsentieren. Nicht als Guckkastentheater, sondern wir wollen das ganze Haus bespielen, vom Keller bis unters Dach mit Szenen aus diesem Werk. Da sind viele Jugendliche im Einsatz.

Ist es denn besonders einfach, wenn man nur eine Schauspielerin inszenieren muss?
Barz:
Ganz im Gegenteil. Aber es ist eine Herausforderung und ein Geschenk, dass ich das machen durfte. Es treten ja in der Novelle auch andere Personen auf, die sprechen, und die erste Frage ist: Wie setze ich das um? Lasse ich sie auch von der Schauspielerin sprechen? Wir haben viel ausprobiert und haben jetzt eine spannende Lösung gefunden. Wir spielen mit verschiedenen Medien, mit Musik und mit einer Videoprojektion, auch das Bühnenbild spielt eine Rolle, mit dem man verschiedene Räume schafft. Das wird ein spannender Abend.

Steht Jennifer Riahi denn nackt auf der Bühne?
Barz:
Das ist die zweite Frage, die sich mir gestellt hat und die Antwort möchte ich jetzt gar nicht verraten. Irgendwie muss man die Nacktheit darstellen, aber ob man die Schauspielerin dafür nackt auf der Bühne zeigen muss, weiß ich nicht. Nacktheit in diesem Stück ist mehr, als sich körperlich auszuziehen. Es geht da auch um eine seelische Nacktheit. Ich habe versucht, in diesen Aspekten zu graben. Da kann man sich überraschen lassen.

Überlebt sie als Else denn wenigstens den Veronal-Trip?
Barz:
Darüber haben wir dramaturgisch diskutiert. Es gibt einen Wissenschaftler, der sagt, sie müsste theoretisch bei der Dosis, die sie nimmt, überleben. Die würde nicht ausreichen, um sie umzubringen. Als ich das Stück das erste Mal gelesen habe, war für mich klar, dass sie stirbt. Dafür ist die Metaphorik am Ende zu stark: dass sie in ein Licht reingeht und dass sie fliegt. Klar hat sie da Halluzinationen, bedingt durch dieses Veronal, aber da ich ein Freund von Bühnentoden bin und das auch eine besondere Erzählkraft hat und auch Magie ausstrahlt, glaube ich schon, dass sie stirbt.

„Fräulein Else“ I 14.9. (P) 20 Uhr I Foyer III, Theater Duisburg I 0203 3 00 91 00

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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