trailer: Herr Eckenga, warum leben Sie eigentlich noch im Ruhrgebiet?
Fritz Eckenga: Ich hatte noch keinen Grund, hier abzuhauen. Ich bin seit etwa 30 Jahren auf Tournee und komm immer wieder gern hierhin zurück. Und das wird mit der Zeit sogar mehr. Immer lieber bin ich lieber hier.
Gebürtig sind Sie auch von hier?
Aus Gründen guter medizinischer Versorgung ist meine Mutter mit mir, als ich noch nicht draußen war, nach Bochum gegangen ins Krankenhaus. Da haben wir zwei das dann erledigt, sind aber nach einer Woche nach Lütgendortmund zurück. Das liegt, für alle, die nicht von hier kommen, sei das erwähnt, an der Grenze zu Bochum.
Gab‘s in der Kindheit und Jugend irgendwelche fantastischen oder traumatischen Erlebnisse?
Übliche Traumata gab es natürlich mit den Eltern, in der Familie. Schule hab ich nicht ganz so lange besucht. Dann habe ich eine kaufmännische Lehre gemacht. In dem Kaff, aus dem ich komme, also Lütgendortmund, gab es schon ‘ne Menge Leute, die so ein bisschen anders waren bezüglich Freizeitgestaltung. In dem evangelischen Jugendheim, in das wir gingen, trafen sich immer welche, die Theater gespielt haben oder ‘ne Gitarre halten konnten. Aus diesem kreativen Sumpf hat sich alles entwickelt.
Rocktheater N8chtschicht?
Noch nicht. Erst gab es so 14, 15 Leute, die Kabarett machten. Wir nannten uns „Reißzwecke“. Unser Programm hieß „Vorsicht, bissiger Bildschirm“. Das war nicht nur ‘ne Partynummer. Wir trafen uns schon zwei-, dreimal in der Woche. Nach einem Jahr, also nach 20 Auftritten, teilte sich die Gruppe. Die eine Hälfte wurde N8chtschicht. 1978 war Gründungsjahr. Wir wollten kein studentisches Kabarett machen, sondern lauter und härter sein. Die Gründungsleute kamen eher nicht vom Gymnasium, waren eher Lehrlinge. Das wollten wir im Programm abbilden. Auch wegen unseres Namens hatten wir den Geruch weg, dass wir DKP-Leute sind. Das stimmte aber überhaupt nicht. Damals gab es diese schwachsinnige Schubladisierung. Das hatte mit mir aber überhaupt nichts zu tun. Ich wollte auf die Bühne und Spaß haben und von mir aus auch die Welt verändern.
Aber da war Kabarett noch Hobby?
Der größte Teil unseres Lebens bestand damals schon aus Kabarett. Ausbildung, Schule und Uni liefen nebenher. Irgendwie musste man ja Geld verdienen. Ich habe im Büro in der Mittagspause Texte geschrieben. So habe ich die Produktionsmittel umgewidmet. Etwa 1983 haben wir uns dann zusammen hingesetzt und überlegt, dass es so nicht weitergeht. Die Leute, die das professionell machen wollten, sind geblieben. Andere, auch mein alter Freund Günter Rückert, sind gegangen. In der Zeit entwickelten wir uns vom Geheimtipp zum etwas öffentlicheren Geheimtipp.
Nachtschicht war irgendwann sogar im Fernsehen.
Anfangs war das ein gutes Erlebnis. Als wir dann aber in einem halben Jahr fünf Sendungen à 60 Minuten machten, hatten wir keine Zeit mehr, Probleme, die entstanden, auszudiskutieren. Eigentlich hätte man sich ein Wochenende zusammensetzen müssen, über alles reden müssen, sich die Köppe einhauen müssen und danach einen saufen gehen müssen, und alles wär wieder gut gewesen. 1997 haben wir eine unbefristete Pause beschlossen. Zwei Jahre später haben wir bis 2005 weitere Programme gemacht. Das war mit das Beste, was wir je gemacht haben. Sehr erwachsen. Sehr albern.
Und dann kam die Solokarriere?
Das lief schon parallel zu N8chtschicht. Irgendwann hat mich jemand gefragt, ob ich eine Lesung machen möchte. So entstand das Programm „Eckenga kann lesen“. Anfang der Nullerjahre gab es dann Interesse vom Verlag Antje Kunstmann. Ich sollte ihr dann erst mal 50 Gedichte schicken. Da dachte ich nur: „Boah“. Inzwischen hab ich allein bei Kunstmann vier Bücher gemacht. Man muss Massel haben und die richtigen Leute treffen. Gedichtbände sind in Deutschland ja nicht gerade Blockbuster.
Dabei ist die Dortmunder Schule in Wirklichkeit die Fortsetzung der Frankfurter Schule.
Dankeschön. Es gibt ja noch einen anderen Kollegen aus der Gegend, der in diesem Bereich wahnsinnig fleißig ist. Thomas Gsella kommt aus Essen und war jahrelang bei der Titanic. Aber wir sind ja keine Lokalidioten, die sich deswegen toll finden, weil sie diese merkwürdige Sprache beherrschen.
Aber neben Poesie gab es dann ja noch Rudi Assauer.
Assauer war ein echter Glücksschuss. Der ging sieben Jahre. Mein „Fußballmanager A.“ hat ja fast nie über Fußball geredet. Ich habe auch nie eine Assauer-Parodie daraus gemacht. Ich habe persönliche Sachen von ihm immer rausgehalten. Nachdem jetzt seine Krankheit durch die Medien ging, habe ich mir überlegt, mit der Figur aufzuhören.
Ich hatte Tränen in den Augen, als ich im Radio vom Ende Ihres Assauers hörte.
Das ging vielen Hörern so. Die Leute waren enttäuscht, hatten aber auch Verständnis. Aber ganz abgesehen von Herrn Assauers Krankheit, man muss auch immer wieder was Neues machen, sonst wird das langweilig. Den Neuen – Möbel-Matthes – hatte ich schon lange im Kopf. Möbelverkäufer erleben das menschliche Drama von links bis rechts, die glücklich Verliebten und die bestialisch Geschiedenen. Diese Figur wird sich noch weiterentwickeln. Ich lerne Matthes ja gerade erst kennen.
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