Eines teilen diese großformatigen Farbfotografien schon von draußen, durch die Fensterfront des Museum Quadrat mit: Simone Nieweg bleibt sich in ihrer Kunst treu, auf eine fabelhafte Weise. Das Josef Albers Museum in Bottrop zeigt einen Überblick über ihre Bilder der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte, mit Schwerpunkt auf der jüngsten Zeit. In allen Werkgruppen bildet Simone Nieweg konstant die Natur unserer Zivilisation ab. Teils ragen Bäume oder Hütten, Lauben im Vordergrund auf, teils fluchten Felder und Äcker in die Bildtiefe. Simone Nieweg zeigt Grabeland an der urbanen Peripherie und Streuobstwiesen, Waldstücke und deren Lichtungen. Zwischen die Pflanzungen sind Pflöcke gesetzt, oder fern am Horizont ist die Silhouette von Gebäuden zu sehen. Aber die Schilderung des Eingriffs in die Landschaft oder deren Bebauung bleibt unaufdringlich, auch dann wenn sie selbst zum Thema wird, etwa bei den etwas chaotisch wirkenden temporären Hütten mit ihren farbigen Tonnen oder Gerätschaften für die Bewirtschaftung.
Simone Nieweg wurde 1962 in Bielefeld geboren. Sie hat an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Fotoklasse von Bernd Becher studiert, aus der etwa auch Candida Höfer, Andreas Gursky und Thomas Struth stammen. So verschieden diese Fotografen sind und sich natürlich auch von Bernd und Hilla Becher unterscheiden, gemeinsam ist ihnen doch die Konzentration auf wenige Sujets, der überschauende Blick aus der Distanz, das Interesse für die Spuren unserer Zivilisation (oft als Architektur) und die handwerkliche Brillanz. All das kennzeichnet auch die fotografischen Bilder von Simone Nieweg. Aber sie ist doch hingebungsvoller in ihrer Thematik. Ihr liegt am Vergegenwärtigen und Vertiefen der jeweiligen Atmosphäre aus Vegetation, Dichte des Blattwerks, Berührtheit und Unberührtheit der Natur, Tages- und Jahreszeit. Zumal in ihren neueren Bildern setzt sich Simone Nieweg ganz der Natur aus. Und doch liegt auch da die analytische Erfassung des Naturraumes vor, welcher der Versorgung des Menschen dient und mehr und mehr domestiziert ist.
Künstlerin mit der Kamera
Die Ausstellung im Museum in Bottrop ist ein Erlebnis für die Augen. Auch wenn die Bilder von Simone Nieweg gleißendes Licht und extreme Schattenwirkungen vermeiden, so überwältigt doch die Mannigfaltigkeit vermeintlich vertrauter Natur. In jedem Bild finden sich unendlich viele Abstufungen von Grün oder von Braun, die man in der Landschaft draußen kaum registriert. Die meisten der Bilder in Bottrop sind als Großformat abgezogen und entfalten umso mehr die Schönheit der Natur, auch dann sind sie alles andere als spektakulär. Zugleich besitzen die Darstellungen in ihrer Präzision, mit der Erdfurchen, Grashalme und Blätter erfasst sind, etwas Intimes. Das hängt auch damit zusammen, wie Simone Nieweg komponiert, wie die Darstellungen im Vordergrund ansetzen und dass der Hintergrund durch den Horizont „geortet“ ist und zugleich eine Dimension von Raum erhält, welche dem Geschehen weitere Ruhe verleiht. Man ahnt einen Windzug, der durch das Geäst fährt, meist kennzeichnet etwas Sonntägliches die Stimmung. Von Mal zu Mal klingt Arkadien an. Mit diesen Impressionen und ihrer formalen Ordnung greift Simone Nieweg kunsthistorische Traditionen der Landschaftsmalerei auf, mit zeitgenössischen Mitteln.
Simone Nieweg findet die Motive ihrer Bilder in der Umgebung von Düsseldorf, am Niederrhein oder auf der Schwäbischen Alb und auf Fahrten in Frankreich. Im Gespräch berichtet sie, dass die Suche zunächst gar nicht so zielgerichtet sei, sie dann aber eine Situation in der Landschaft entdecke, der sie nachgehe. Für die sie sich vielleicht erst allmählich entscheidet und die sie mit dem Standort der Aufnahme und dem erforderlichen Licht konkretisiert. Die Komposition hin zur Gültigkeit als Bild, unabhängig vom Motiv, überprüft sie übrigens, indem sie die Darstellung in der 13x18-Plattenkamera kopfstehend sieht.
Der Direktor des Bottroper Museums Heinz Liesbrock hat – wie schon bei früheren Ausstellungen – einige fotografische Bilder von Simone Nieweg in den Albers-Trakt gehängt. Meist machte dies Sinn, um im Dialogischen weitere Qualitäten der unterschiedlichen Werke herauszuarbeiten. Bei der Fotografie von Simone Nieweg aber funktioniert das nicht wirklich. Aussagekräftiger ist hingegen, dass die Natur des Stadtgarten hier gleichzeitig durch die Fensteröffnungen zu sehen ist. Und immerhin sind auf diese Weise einige Fotografien zu sehen, die nicht in die Auswahl im Wechselausstellungsraum zu integrieren waren, so eindrucksvoll sie auch sind. Dies gilt etwa für die vier Schneebilder aus dem Zeitraum von 1998 bis 2011. Das Früheste und das Älteste davon sind am gleichen Ort aufgenommen, auf dem Frölenberg bei Bielefeld. Beide Male ist der verschneite Buchenwald zu sehen. Die Fotografie von 1998 ist aus einer attraktiven Perspektive entstanden, weil sie den Waldweg fokussiert, der sich hier in die Tiefe zieht und damit eine Symbolik trägt, die an die Malerei der deutschen Romantik erinnert. Auf der Fotografie von 2011 prallt der Blick hingegen auf den Wald. Ohne Belaubung wirken die Baumstämme auseinander gerückt und vereinzelt, nun fehlt jede Orientierung. Und dann stellen wir fest, dass es hier um die Erfassung und Verdeutlichung des Ganzen geht, indem hinter den Bäumen die Kuppe des Berges frei liegt. Vielleicht geht es bei ihren Fotografien ja überhaupt um den verschwiegenen Eigensinn der Natur, um ihren Reichtum und ihre Selbstbehauptung, wie sehr wir auch in sie eingreifen.
„Simone Nieweg – Natur der Menschen“ I bis 27.5. I Josef Albers Museum. Quadrat Bottrop I www.quadrat-bottrop.de
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