Der Roman „Ein Mann will nach oben“ von Hans Fallada erzählt die Geschichte von drei jungen Menschen, die in der Großstadt erwachsen werden und ihren Weg gehen. Berühmt wurde dieser Roman 1978 durch seine Verfilmung als 13-teilige Fernsehserie mit Mathieu Carrière und Ursela Monn in den Hauptrollen. Anselm Weber bringt diese Geschichte nun zum Abschluss der Spielzeit zum ersten Mal auf die Theaterbühne.
trailer: Wie bringt man einen 700 Seiten Roman auf die Bühne?
Anselm Weber: Indem man sich sehr sehr ausführlich mit der Fassung beschäftigt, sich intensivst mit dem Stoff beschäftigt und versucht, irgendwann Schwerpunkte zu setzen. Ich kann noch gar nicht sagen, wie lang es werden wird, aber ich rechne mal mit drei Stunden Spieldauer, um dem Stoff gerecht zu werden. Weniger geht da nicht.
Kann man denn überhaupt allen Handlungssträngen, die da vorkommen, in irgendeiner Art und Weise gerecht werden?
Nein. Also was wir momentan versuchen, ist, dass wir zwei, drei Erzählstränge ins Zentrum setzen, zum einen den Bruch zwischen „vor“ und „nach“ dem Ersten Weltkrieg. Also Karl, der sich bis zum Krieg hocharbeitet. Da geht es auch um den Glauben an sich selber. Dann die Rückkehr aus dem Krieg und die Zeit bis Anfang der 30er Jahre. Wir brechen quasi die Geschichte ab, als dann sein Freund Bodo vonSenden ihm die Geliebte in der Weißen Maus vorstellt und als es zur Auseinandersetzung zwischen Maria Molina und Karl kommt.
Hat die Verfilmung von 1978 – immerhin 13 Folgen – noch einen Einfluss auf die Inszenierung?
Ich hab mir das angeschaut, aber erst mal das Buch gelesen. Ich kannte diese Verfilmung nicht, die aber alle anderen kannten. Dann ist es so, dass der Film spätestens mit Auftritt von Franz Wagenseil, sprich Harald Juhnke, die Geschichte ja verlässt. Ich finde es schon erstaunlich, wie da im ersten Teil die ganze Geschichte über den Ersten Weltkrieg deutlich verharmlost wird. Einfluss würde ich das also nicht nennen, vor allem weil wir es als Rückblick erzählen, also die Geschichte von hinten anfangen und dann nach vorne springen, um das Leben der Hauptfigur zu erzählen.
Hat die Auswahl des Stücks etwas mit dem momentanen 1914-Rummel zu tun?
Es ist so. Obwohl die Geschichte ein bisschen länger ist: Wir sind ja Mitglied der UTE (Union of Theatres of Europe) geworden. Die UTE hat sich in Zusammenarbeit mit vielen europäischen Theatern das Projekt Fallen Angels entwickelt, was im Zentrum den Ersten Weltkrieg hat. Daraufhin haben wir gesagt, wir würden uns daran beteiligen. Und es gab parallel dazu die Entwicklung, die aber jetzt auch schon zwei, drei Jahre her ist, dass ich einfach Fallada wieder gelesen habe. Aus einer ganz persönlichen Vorliebe habe ich entschieden, den Stoff zu machen.
Es soll viele Lieder aus den 30er Jahren geben, wird das eine Revue?
Nein, es wird keine Revue. Es ist tatsächlich so, dass wir versuchen, den Zeitgeist ein Stück weit einzufangen. Wir haben nach Originalliedern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gesucht und haben ein paar mit hineingenommen. Dasselbe gilt dann auch für den zweiten Teil, der ja im Wesentlichen auch den Nachtclub „Weiße Maus“im Zentrum hat. Da spielt der Revuegedanke eine Rolle. Es ist einfach so, wenn man sich mit dieser Zeit beschäftigt, dass man auch auf Goldstücke stößt, auf einen Schatz nach dem anderen. Da ist eine Kultur, die durch die Nazis völlig verschwunden ist. Diese Hollaender-Melodien und Texte, die sind sensationell.
Deshalb auch die Videokünstlerin als Reflex?
Ursprünglich hatten wir eigentlich gesagt, wir reduzieren das und wir machen es ohne Video. Dann hat sich aber gezeigt, dass das noch mal neue Möglichkeiten gibt, die damalige Welt zu beschreiben. Das ist eine Herausforderung, weil es ein extrem epischer Stoff ist und sich irgendwann zu einer sehr großen Produktion entwickelt hat. Die große Anzahl an Statisten, das Video, die Musik – das ist so eine Entscheidung gewesen, sich dem mit der Ganzheit des Theaters zu stellen.
Ist der Stoff nicht auch ein Plädoyer für die Selbständigkeit?
Nein. Die Figuren wollen immer etwas und es gelingt ihnen nicht. Sie sind alle eigentlich zum Scheitern verurteilt, letztlich zum Unglücklichsein. In der Sehnsucht nach Glück steckt immer auch das Unglücklichsein. Das finde ich für die heutige Zeit so toll. Weil es so unglaublich warm ist. Wenn man sich mit diesem Autor beschäftigt, der sozusagen seine eigene Widersprüchlichkeit in diese Texte permanent einfließen lässt, bei dem man nicht versteht, wie einer diese Unmengen an Romanen entstehen lassen kann und diese Kreativität, die dahinter steckt, dann es gibt wenig Dinge in den letzten Jahren, die mich so in den Bann gezogen haben wie dieser Autor als Künstler. Das ist wirklich sensationell.
„Ein Mann will nach oben“ | 5.6. 19:30 Uhr (UA) | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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