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„Der elfte Gesang“
Foto: Presse

„Jeder kennt die Geschichte, obwohl er sie vielleicht noch nie gelesen hat"

01. Februar 2010

Sechs Schauspiele in sechs Theatern auf "Odyssee Europa" - Premiere 02/10

Der Eingang zur Unterwelt als Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischenstation für den heimatlosen Heimkehrer. Im Rahmen der „Odyssee Europa“ während Kulturhauptstadt 2010 beschäftigt sich Roland Schimmelpfennig mit der Unterweltfahrt des Odysseus aus dem elften Gesang von Homers Epos. Die junge Regisseurin Lisa Nielebock inszeniert den Bochumer Teil der Odyssee mit einem Heer an Schauspielern.

trailer: Frau Nielebock, müssen wir uns im Ruhrgebiet mit toten Helden auseinandersetzen?
Lisa Nielebock: Ich glaube, wir müssen uns überall mit toten Helden auseinandersetzen. Wie Roland Schimmelpfennig geschrieben hat, die Toten sind eigentlich nur Bilder in uns drin. Bilder von unserem eigenen Leben, von unseren eigenen Geschichten. Im Stück ist es so, dass der Autor den Odysseus, der hier ein Tabakhändler ist, auf die Toten seiner ganz persönlichen Unterwelt treffen lässt. So dass er sein eigenes Gewissen, seine eigenen Gespenster wiedersieht. Homer hat ja geschrieben, dass Odysseus eine Grube ausheben muss, und dann kommen alle Toten zu ihm, alle die er gekannt oder umgebracht hat, oder die ihm etwas bedeutet haben. Unsere Geschichte handelt auch von der Bewältigung von Kriegstraumata. Ich habe das Gefühl, dass das der eigentliche aktuelle Bezug ist, etwas, das nicht nur fürs Ruhrgebiet wichtig ist, sondern für die ganze Menschheit. Die Konfrontation mit den Toten ist eigentlich die Konfrontation mit dem dunkelsten Erinnern in uns selber. Schimmelpfennig verschneidet die Geschichte mit Menschen, die wirklich aus dem Ruhrgebiet sein könnten. Seine Behauptung ist, die Odyssee sei als Archetyp in uns allen drin, und jeder kennt diese Geschichte, obwohl er sie vielleicht noch nie gelesen hat.

Werden wir in Zukunft trotz vieler Mühen nur noch Elend vorfinden?
Die Vision von der Heimkehr in der Odyssee ist eine düstere, eine Vision, dass man eigentlich überhaupt nicht ankommen kann. Genauso wie die Vision über den Tod, wo die Toten nicht zur Ruhe kommen. Sie kommen innerlich nicht an. Das ist eine ganz andere Vorstellung als im Christentum, wo man sagt, wir kommen an und finden unseren Seelenfrieden. Bei Homer und in der Antike war das ganz anders. Die haben angenommen, dass die Toten als Schatten weiterexistieren irgendwo unter der Erde, und selbst die Ankunft in Ithaka ist ja auch eine, wo der Odysseus kurz ankommt und dann weiter muss. Ich glaube, dass die Reise, die ja auch gleichzeitig das Leben ist, in der Odyssee das Wichtigste ist und dass es gar nicht darum geht anzukommen, sondern dass man ein Ziel hat, und es geht um die wahnsinnigen Abenteuer, die man dabei erlebt.

Also ist die Irrfahrt wichtiger als die Erkenntnis vor Ort?
Ich glaube, man darf das gar nicht positiv oder negativ sehen. Es geht tatsächlich um die Bewegung und ums Weitermachen. Odysseus macht immer weiter, obwohl er schon nach dem ersten Abenteuer am Ende seiner Nerven sein müsste, sich hinsetzen und nicht mehr weiterkönnen. Doch er ist ein Recke, der immer weiterkann. Weil er am Leben hängt, weil er neugierig ist und ihn etwas weitertreibt. Für mich ist die Odyssee inzwischen eine ganz positive, ganz dem Leben zugewandte, kraftstrotzende Geschichte, wo Odysseus immer dem Dunklen begegnet, merkwürdigen Frauen begegnet, die ihn von seiner tollen Ehefrau weghalten wollen. Er verliert alle Gefährten, kommt nackt und bloß an am Ende und muss immer noch weiter. Das ist wie im wirklichen Leben, wie man das selber auch empfindet. Das ist eine unheimliche Anziehungskraft an der Geschichte, dass sich das Leben lohnt, selbst über die Grenze zum Tod.

Gibt es bei den Inszenierungen einen gemeinsamen roten Faden?
Es gibt keine Chronologie. Der Zuschauer darf sich nicht vorstellen, er schaut den ersten, dann den zweiten Teil und hat am Ende die ganze Odyssee gesehen. Es ist so, dass die verschiedenen Theater und unterschiedlichen Autoren ganz eigen dieses Thema beleuchten.

Spricht man sich denn ab unter den Regisseuren?
Nein absolut nicht, und das ganz bewusst. Es geht schon darum, etwas ganz Eigenes zu machen. Die meisten Stücke sind gerade noch in der Entwicklung, ich kenne viele noch gar nicht. Es gibt Zwei-Personen-Stücke. Ich habe eine Riesenbesetzung, 15 Schauspieler.

Hat die Ruhr.2010 die renommierten Schauspieler erst möglich gemacht?
Nein überhaupt nicht. Die Auswahl ist von mir oder vom Haus. Das hat sich für dieses Projekt richtig reingehängt. Das ist ein gewaltiger Stoff, und ich bin eine junge Regisseurin. Ich denke, ich brauche dafür starke Kräfte dabei und habe nun tolle Schauspieler.


Der elfte Gesang I Sa, 27.2., 16 Uhr
(Uraufführung) I Schauspielhaus Bochum
0234 33 33 55 55

PETER ORTMANN

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