Es bleibt das Jahr der nachgeholten Jubiläumstouren: Nur wenige Tage, nachdem die Stones Gelsenkirchen mit ihrer Sixty-Tour beehrt haben (mit der Faustformel: man addiere das Alter aller Bandmitglieder und erkläre die Summe zum Ticketpreis), ist eine Grundfeste des Heavy Metal zu Gast in Oberhausen: Judas Priest, die zusammen mit Black Sabbath zu den Vorreitern der „New Wave of British Heavy Metal“ zählen und sich ebenso wie diese 1969 gründeten, blicken auf über „50 Heavy Metal Years“ zurück und locken ihre Jünger zahlreich in die Rudolf-Weber-Arena Oberhausen. Im Publikum mehr schütteres als langes Haar, zwischen eindrucksvoll spannenden Fanshirts und Kutten ist aber auch das ein oder andere Tourshirt aus den 1980er Jahren auszumachen, das immer noch passt. Und auch der rockende Nachwuchs, vorbildlich ausgerüstet mit Gehörschutz, ist auf manchen Schultern zu sehen.
Göttliche Stimme
Bevor die Metal Gods die Bühne entern, stimmen The Dead Daisies mit sehr traditionellem Hardrock ohne große Überraschungsmomente ein. Höhepunkt sicherlich der Deep-Purple-Song Mistreated, der in der Setlist steht, weil eigentlich der ehemalige Purple-Sänger Glen Hughes am Mikrophon stehen sollte, wegen einer Covidinfektion jedoch kurzfristig von Dino Jelusick vertreten wird. Die Band liefert solide ab, hinterlässt aber auch keinen bleibenden Eindruck.
Ganz anders die nicht mehr ganz so jungen Herren, die dann die Bühne entern: Gegen Mick und Keith noch ein junger Hüpfer, zählt Priest-Sänger Rob Halford mit seinen bald 71 Jahren zu den Veteranen härterer Klänge. Nach einer Rücken-OP vor rund zehn Jahren und einer erst kürzlich überstandenen Prostatakrebs-Erkrankung ist die Bühnen-Performance Halfords deutlich eingeschränkt. Mit seinem weißen Bart wirkt er zuweilen wie ein dunkler Nikolaus, der durch tiefen Schnee über die Bühne stapft, um Geschenke zu verteilen. Doch die Stimme des „Metal Gods“ ist so kräftig und durchdringend wie eh und je – und das in jeder Tonart.
Frenetisches Publikum
Die Gitarristen Richie Faulkner und Andy Sneap sind umso agiler und liefern sich Gitarrenduelle, dass es eine helle Freude ist. Die Rhythmusfraktion aus Drummer Scott Travis und Bassist Ian Hill tut ein Übriges, um den rund hundert Minuten langen Sprint durch die Bandgeschichte voranzutreiben. Die Setlist umfasst Songs von ganz frühen Alben wie „Sad Wings of Destiny“ bis zum 2018er Album „Firepower“ – wobei der Schwerpunkt eindeutig in den 1980er Jahren liegt. Und das Publikum feiert frenetisch jeden Song von Klassikern wie „You got another thing coming“ bis hin zum hämmernden „Painkiller“. Unglaublich, wie zeitlos ein Song wie „Victim of Changes“ ist. Das Stück aus dem Jahr 1976 ist auch heute noch ein Highlight. Während des Gitarrensolos von Andy Sneap wird auf dem großen Bildschirm im Hintergrund Glenn Tipton eingeblendet, der Gitarrist und Songwriter, der auf allen 19 Studioalben zu hören ist. Er hat sich 2018 wegen einer Parkinson-Erkrankung vom Tourleben zurückgezogen, ist aber immer noch eng mit der Band verbunden – was diese filmische Hommage höchst emotional beweist.
Im Zugabenset steuert Rob Halford traditonell eine Harley Davidson auf die Bühne, bevor mit „Hell Bent for Leather“, dem unvermeidlichen und großartigen „Breaking the Law“ und „Living after Midnight“ die Stimmung endgültig in Richtung selige 1980er-Metal-Party geht. Im nächsten Frühjahr werden Judas Priest übrigens als Support von Ozzy Osbourne unterwegs sein – allein für die Vorgruppe wird es sich lohnen!
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