Es ist etwas mehr als zehn Jahre her, dass Rob Halford, Sänger der Metal-Urgesteine Judas Priest, als alternder Zeremonienmeister am Gehstock die Bühne betrat und hüftsteif durch die Bandgeschichte geleitete. Nostalgieerfüllt hingen die Fans dem Meister an den Lippen, zelebrierten den vermeintlichen Abschied von einer Legende. Schließlich hatte die Band damals die „Epitaph World Tour“ als Abschiedstour angekündigt. Wer hätte damals gedacht, dass Judas Priest im Jahr 2024 lebendiger sein würden als je zuvor? „Invincible Shield“, das 19. Studioalbum der Band, ist weit entfernt von Altersmilde, sondern ein Kracher, der eindrucksvoll zur Schau stellt, dass die Vorreiter der damaligen New Wave of British Heavy Metal noch lange nicht zum Altmetall zu zählen sind. Und mit den Support Acts der aktuellen Tour servieren Priest einen Abend der Legenden, der den würdigen Titel „Metal Masters“ trägt.
Aus 10.000 Kehlen
Als gegen 19 Uhr die Lichter im Rund der Westfalenhalle erlöschen, ist diese trotz der frühen Stunde mitten in der Arbeitswoche bereits bestens gefüllt. Die meisten Fans kommen heute abend nicht allein wegen der Hauptband, sondern wollen möglichst alle drei Bands feiern. Auf den ersten Blick mag Uriah Heep möglicherweise nicht so gut zu den anderen beiden passen, verbindet man sie doch mit 1970er Jahre Hardrock mit deutlicher Hammondorgel-Note. Doch auch die 1969 gegründete Band hat ein recht frisches neues Album im Gepäck. Sänger Bernie Shaw kokettiert ein wenig damit, dass die anderen beiden Acts des Abends im Gegensatz zu ihnen „richtiger“ Heavy Metal seien, nur um mit den Worten „This is how we did Metal in the 1970ies“ zu „Free ‚n‘ Easy“ überzuleiten, einem treibenden Klassiker, der mit wuchtigem Drumsound in die Jetztzeit katapultiert wird und keinerlei Staub angesetzt hat. „How can we put 54 years of making music into 45 minutes concert?” fragt Shaw eher rhetorisch, denn natürlich kann die Antwort nur heißen, dass man sich auf eine Handvoll Highlights beschränken muss. Also nur „Hurricane“ und „Save me tonight“ von der neuen Platte „Chaos & Colour“, ansonsten natürlich „Gypsy“, das unvermeidliche „Easy Livin‘“ und zum Abschluss der laut Shaw vermeintlich einzige „Heavy Metal Folksong“: „Lady in Black“. Lagerfeueratmosphäre breitet sich im Hallenrund aus, als sicherlich 10.000 Kehlen in das markante „Ah, ah-ah, ah-ah-ah, ah-ah-ah“ einstimmen. Ein Gänsehautmoment, sicherlich auch für die Band, die mit eigener Tour wiederzukommen verspricht.
Neue Scheiben
Erfreulich kurz ist die Umbaupause bis zum Auftritt der vergleichsweise jungen Hüpfer von Saxon. 1979 gegründet, bildeten sie in den 1980ern gemeinsam mit Judas Priest und Iron Maiden die Speerspitze der britischen Metalszene. Auch sie haben eine viel beachtete neue Scheibe („Hell, Fire and Damnation“) im Gepäck und mixen neue Songs gut ausgewogen mit Klassikern. „Motorcycle Man“ und „Heavy Metal Thunder“ sind fest gesetzt, doch zwischendurch lässt Sänger Biff Byford auch mal das Publikum zwischen vier Songs auswählen. Allein die Aufzählung verdeutlicht, dass Saxon weitaus mehr Hits im Köcher haben als ihnen an diesem Abend an Zeit zur Verfügung steht. Das hymnische „Crusader“ macht das Rennen. Doch auch das zunächst unterlegene „Strong Arm of the Law“ kommt noch zu seinem Recht, als Biff feststellt „we have time for one more“. Den Abschluss bildet dann „Princess of the Night“. Wie schon bei Uriah Heep herrscht in der Halle ein erfreulich guter Sound, der die sich duellierenden Gitarren ebenso gut zur Geltung bringt wie Biffs Gesang. Die gesamte Halle feiert, nur die Ränge brauchen kurz vor Schluss eine gesonderte Einladung zum Aufstehen.
Jungbrunnen voller Energie
Als dann – wiederum nach einer moderaten Umbaupause – schon traditionell Black Sabbath’s „War Pigs“ als Intro aus den Boxen schallt, ändert sich das Bild auch auf den Rängen schlagartig: Wer nicht über Rücken oder Knie klagt, begrüßt die alten Recken stehend und lässt den Headbanger-Song „Panic Attack“ auf die Nackenmuskulatur einwirken. Rob Halford, dessen Rauschebart mit den Jahren immer weihnachtlich weißer zu werden scheint, zieht mit glitzerndem Mantel die Blicke auf sich. Auch wenn die jahrzehntelangen Gitarristen KK Downing (2011 wegen „Differenzen“ gegangen) und Glenn Tipton (2018 wegen Parkinson zurückgetreten) nicht mehr dabei sind, klingen Priest mit Ritchie Faulkner und Andy Sneap auch bei den Klassikern wie aus einem Guss. Unglaublich energiegeladen und druckvoll spielt die Band auf und insbesondere Rob Halford scheint einen Jungbrunnen gefunden zu haben – manch ein Zuschauer hätte sicherlich gerne die Nummer seines Physiotherapeuten. Nein, er tänzelt nicht über die Bühne wie der unbedeutend ältere Mick Jagger, aber seine mittlerweile 73 Jahre lässt er sich nicht anmerken. Andernfalls kokettiert er damit zuweilen, wenn er eine Ansage am rechten Bühnenrand beginnt und dann „kurz zu Atem kommen muss“, um sie am linken Bühnenrand zu beenden. Dass er überhaupt nicht kurzatmig ist, stellt er allerdings gesanglich eindrucksvoll unter Beweis. Es gibt zwei, drei Passagen, in denen er alte Höhen umschifft, doch insgesamt ist seine Stimme kraftvoll und durchdringend wie eh und je, vermutlich besser als be allen anderen Touren der letzten 10, 15 Jahre. Und wenn er dort am Bühnenrand steht, wortlos und sichtlich dankbar den aufbrandenden Jubel in sich aufnimmt, ist das ein hochemotionales Bild. Die Setlist bietet jede Menge Altbekanntes, nur wenige Überraschungen. Doch das ist es, was die treuen Fans hören wollen: „You've Got Another Thing Comin'“ und „Breakin‘ the Law“ kommen schon sehr früh, „Turbo Lover“ und „Love Bites“ sind ebenso dabei wie das nackenbrechende „Painkiller“. In die 1970er Jahre zurück geht es mit einer fulminanten Version von „Victim of Changes“. Hatte Halford bei diesem Song 2022 in Oberhausen einige Probleme mit den Höhen, meistert er diesen Meilenstein des Metal diesmal mit Bravour. Was bei AC/DC die Glocken und Kanonen sind, ist bei Judas Priest die Harley, die Halford im Zugabenteil auf die Bühne fährt, um „Hell Bent for Leather“ einzuläuten, bevor zum krönenden Abschluss des Abends „Living after Midnight“ noch einmal für ausgelassene Partystimmung in der ausverkauften Halle sorgt.
Am Ende prangt im Bühnenhintergrund der Schriftzug „The Priest will be back“ – eine Verabredung, der die über 15.000 Besucher des heutigen Abends sicherlich jetzt schon entgegenfiebern. Judas Priest feiern keinen Abgesang auf ihre glorreichen Zeiten. Sie sind ein immer noch relevanter Maßstab in der Szene.
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