Kaiser Franz ist ein Musiker, der etwas zu sagen hat – nicht nur mit seiner Musik. So erzählt er, noch bevor Notizblock und Diktiergerät bereit sind, von Aufregern und Inspiration, kommt von Recklinghäuser Lokalpolitik auf die Gema-Jahresversammlung zu sprechen und bringt, als er über den Zustand der Musikbranche räsoniert, ein spannendes Schlagwort aufs Tapet.
Kaiser Franz: … und dann kommt jetzt die künstliche Intelligenz. Die wird in Zukunft die Musik schreiben. Und die Texte.
trailer: Da wage ich mal in den Raum zu werfen, dass es keinen großen Unterschied macht, ob ein Mensch einen profitorientierten Song nach Schema F schreibt, um sie in die Charts zu bringen, oder eine KI. Beide haben keine Seele.
Korrekt. Das ist der springende Punkt: Sie haben keine Seele. Es ist kein Spirit da, keine Authentizität. Über das Thema habe ich auch mit Stoppok gesprochen, und er hat etwas gesagt, was mir ganz viel Ruhe verschafft hat: „Für die Scheiße, die im Radio läuft, kann die KI ruhig benutzt werden.“ Da habe ich gedacht: Alles klar, Big Daddy Stoppok hat gesprochen. Mach dir also keinen Kopp, mach einfach weiter.
Ich kann aber verstehen, dass dich das so umtreibt. Dir ist die Seele in deiner Musik sehr wichtig, insbesondere auch die Texte. Heißt also im Umkehrschluss, dass du gar nicht damit rechnest, im Radio gespielt zu werden?
Das ist aber eine ganz böse Frage. Ich zäume das Pferd mal von hinten auf. Als Künstler vermitteln wir Emotionen. Im besten Fall verkaufen wir Emotionen. Aber die Emotion darf nicht gekünstelt sein. Ich habe nicht den Anspruch, dass das, was ich sage, die Wahrheit ist, das Amen in der Kirche. Ich möchte verstanden werden. Ich möchte, dass der Hörer nicht unbedingt sich wiedererkennt, sondern etwas erkennt. Die aktuelle Platte betrachte ich als Reise. Sie hat einen roten Faden. Und ich reiche dem Hörer vom ersten Song an die Hand, auf dass er mit mir mitgehen möge durch diese zehn Lieder. Und wenn dabei was hängen bleibt, dann wird es auch im Radio gespielt. Ich will ja möglichst viele Leute erreichen mit meinen Liedern. Und irgendwann wird ein Radio-DJ sich denken: Geil, so sehe ich das auch, den Song will ich im Radio spielen. Natürlich gibt es auch ernstzunehmende Künstler im Radio.
„Ich möchte, dass der Hörer nicht unbedingt sich, sondern etwas erkennt“
Wer sind denn deine musikalischen Einflüsse und Vorbilder?
Also, bisschen Punk ist immer noch drin, so wie alles angefangen hat 2005. Aber ich bin mit dem Album reifer geworden. Ich gehe zwar nach wie vor spitzzüngig vor, aber mit Bedacht, also ohne jemanden persönlich zu diskreditieren. Eher mache ich das durch die Hintertür. Zwar kriegt jeder sein Fett weg, aber in erster Linie ich selbst. Ich habe auf dem Album Katharsis walten lassen und bin erst mit mir selbst vor Gericht gezogen, bevor ich den Zeigefinger erhoben habe.
Ich hatte eher den Eindruck, dass du nach wie vor den Mittelfinger gegen andere erhoben hältst. In welchem Song rechnest du denn vor allem mit dir selbst ab?
In „Fünf Buchstaben“ ziehe ich mich vors Jüngste Gericht, weil ich Menschen auf die Schuhe gepisst habe, die es nicht verdient haben. Es ist Reue. In diesem Lied lasse ich mein inneres Arschloch vor die Wand fahren. Die Facetten eines Menschen sind ja immer gleich: Er liebt, er hasst, er freut sich, er weint, er trauert, er hofft, er bangt, er träumt. Wir als Künstler sind dazu verpflichtet, diese Facetten zu beobachten und auf uns selbst und auf unsere Umwelt zu reflektieren, das dann zusammenzurühren und im besten Fall einen schönen Song daraus zu machen, ohne davon auszugehen, dass es irgendjemand anderes hört. Denn so bin ich ins Studio gekommen mit meinem Material und Sebel, der Produzent, sagte: „Alles klar, wir machen ein geiles Album, das keiner hören wird. Das machst du nur für dich.“
„Die Facetten eines Menschen: Er liebt, er hasst, er freut sich, er weint, er trauert, er hofft, er bangt, er träumt“
War dir das bewusst? Arbeitest du so oder war das ein Aha-Moment für dich?
Das war ganz klar ein Aha-Moment. Jetzt sehe ich mich als Kellner: Ich serviere nur, und ob die Menschen es annehmen, das bleibt ihnen überlassen.
Wer sollte dein Angebot, dein Album zu hören, denn annehmen?
Jeder, der verstanden hat, sich die Krone zu richten und weiterzugehen. Jeder, der sich selbst aufraffen konnte. Ja, in meiner Musik schwingt auch Melancholie mit. Aber das ist gar nicht die grundlegende Stimmung. Das Album sehe ich als Konzeptalbum. Es geht von den ersten Gehversuchen bis zum aufrechten Gang. Da ist kein Platz zum Jammern. Ich setze dem Leben die Krone auf.
Kaiser Franz: Alles auf Anfang | ab 11. August erhältlich | Dr. Music Records
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