Was genau ist eigentlich ein Nerd? Und was unterscheidet ihn von einem Geek? (Spoiler: Einer ist der Schlaue!) Was hat das Imperium aus Star Wars mit Nazideutschland gemein und warum sind Dinosaurier heute nicht mehr so cool wie in den 90er Jahren? „Nerdification“ heißt die Live-Tour des Hamburger Podcasts „Kack und Sachgeschichten“, in dem diese und weitere abseitig-bedeutenden Fragen beantwortet werden. In Bochum verband das Trio Hehres und Vulgäres.
Auf der Bühne sitzen drei Männer an einem Tisch, Gesellschaft leisten ihnen mehrere Plüschkothaufen und eine metergoße Alienfigur. Die Männer heißen Richard, Tobias und Fred. Sie lieben Filme, kennen sich aus, haben in dieser Richtung studiert. Wie ordentliche Um-die-Dreißiger. Sie lieben auch Comics und Dinosaurier. Darüber fachsimpeln sie begeistert wie 17-Jährige. Ihr Humor aber bringt oft den 12-jährigen Hardcore-Pubertierenden in ihnen ans Licht. In ihrem Podcast und an diesem Freitag im Dampfgebläsehaus der Jahrhunderthalle verbinden sie alle drei Seiten – und der Kitt dafür ist eine unbändige Leidenschaft fürs Plappern, Fabulieren und Klugscheißen.
Spätestens seit der Serie „Big Bang Theory“ gelten Nerds als cool, spätestens seit deren zweiter Staffel als Mainstream. Doch was ist ein Nerd? In Kack-und-Sach-Manier geht man an die Wurzel des Wortes. In der Wikipedia-Definition „Mensch mit Spezialinteressen und sozialen Defiziten“ erkennen sich die drei wieder – und ein Großteil des Publikums sich selbst ebenfalls. Ein Nerd vertiefe sich in die Themen, die ihn interessieren. Und ein Klugscheißer erzählt alle Informationen weiter. So hören wir, dass das Wort „Nerd“ von „knurd“ kommen könnte, was „drunk“ rückwärts ist. Und zum Wesen der „Kackis“ gehört es, Dinge weiterzuspinnen: Das deutsche Wort für Nerd wäre entsprechend „Ffus“. Und der alte Grieche Archimedes war demnach der O. G. Nerd – der „Original Gangster Nerd“.
Oh, es geht tatsächlich um Bildung und Wissen hier, mag man meinen. Bis die Geschichte von Archimedes, der seine Kreise nicht gestört haben wollte, umgedeutet wird. Warum war ihm seine Privatsphäre so wichtig? Wahrscheinlich ist „Archimedes, der große Wissenschaftler, beim Wichsen gestorben“. Welche Leistung: Geschichtswissen, Quellenkritik und Peniswitze in einer Anekdote.
Vereinzelte Leute im Publikum hatten keine Ahnung, worauf sie sich eingelassen haben. Es ist auch schwer zu sagen, ob die Leute, die sie mitgebracht haben, ihre Freunde oder Feinde sind. Denn die Kack & Sachgeschichten sind nicht für jeden etwas, aber doch für einen gefühlt relativ genau einzugrenzenden Schlag Mensch. Wahrscheinlich gehören Sie auch dazu, wenn Sie diesen Artikel bis hierhin gelesen haben. Und dieser Schlag ist gar nicht mal so gering, denn dass ein Podcast auf Deutschlandtour mit ausverkauften Sälen geht, muss auch erst einmal geschafft werden. Über die vergangenen dreieinhalb Jahre haben die Kack und Sachgeschichten eine treue und aktive Fangemeinde gefunden. Und sie wächst immer weiter.
Was ist nun der Unterschied zwischen einem Nerd und einem Geek? Der Nerd baut aus Lego ein Raumschiff und macht laserkanonenmäßig: „Piu-piu!“ Der Geek sagt daraufhin: „Im Weltall gibt’s keinen Schall.“ Zwischen der Begeisterung eines Nerds und der Klugscheißerei eines Geeks bewegt sich der Abend, der eine kleine Nabelschau auf das Beste aus über 120 Folgen ist. Auf der Bühne rollt das Trio beliebte Themen aus der Vergangenheit neu auf, treibt Running Gags auf die Spitze und mit direkter Publikumsansprache hat die Live-Situation auch echten Mehrwert.
Ein Höhepunkt der Bochumer Show ist der Auftritt von Fabio und Andy, die zum erweiterten Ensemble gehören. Dies ist ihr einziger Auftritt während der „ersten weltweiten Deutschlandtour“ und das erste Mal überhaupt, dass die fünf an einem Tisch sitzen. Die beiden Technik- und Science-Fiction-Experten verleihen der Diskussion über technische und moralische Probleme von Generationenraumschiffen auf dem Weg zum nächsten Sternensystem die nötige Prise Menschenverachtung.
Und ja, es geht um Wissen und Bildung, auch trotz des Ulks. Aber gerade dank ihm findet die Information ihr Ziel. Warum sonst versammeln sich 170 Leute in einem Saal, um Vorträgen über die ähnliche Bildsprache in „Star Wars“ und Nazipropagandafilmen zu lauschen? Und wenn man miterlebt, wie sich fünf Leute zehn Minuten darüber lustig machen, dass nach neuesten Erkenntnissen der gefürchtete Tyrannosaurus Rex wohl eher wie eine gewaltige Pute ausgesehen haben könnte, dann verlässt man den Abend garantiert mit einer Extraportion paläontologischem Wissen.
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