trailer: Herr Sommers, fangen wir an mit Fragen an den Vereinspräsidenten oder an den Bademeister?
Hans-Joachim Sommers: Eigentlich egal.
Okay. Ist RUHR.2010 wichtig?
Na ja, ich vermisse, dass die Kulturschaffenden aus dem Ruhrgebiet der Öffentlichkeit präsentiert werden. Man muss sich zum Beispiel mal angucken, welche Agenturen für RUHR.2010 tätig sind. Die kommen doch alle aus Berlin. Ich kann mir vorstellen, dass die sogar die Putzfrauen noch von woanders herholen. Aber vielleicht sind wir zumindest dafür gut genug. Ich weiß auch nicht, ob ich die Japaner, die jetzt kommen sollen, weil wir auf große Kultur machen, wirklich brauch. Ich hab übrigens noch keinen einzigen Japaner gesehen bis jetzt. Ständig bin ich in Essen, und nirgends stehen Japaner irgendwo rum.
Das klingt nach dem alten Streit zwischen Hoch- und Basiskultur.
RUHR.2010 lässt die Szene außen vor. 2011 wird es nur noch die Hälfte aller Theater geben, und vorher spielen wir noch große Kulturhauptstadt. Dabei besuchen jährlich Hunderttausende von Besuchern die Freien Theater. Okay, diese Besucher kommen jetzt nicht aus Japan. Aber Kabarett in Deutsch ist ohne Untertitel für Japaner sowieso schlecht.
Schwimmt das Kulturhauptbad noch oder säuft es auch ab?
Das Ebertbad säuft zwei- bis dreimal im Jahr ab. Da gewöhnt man sich dran. Du kannst dich überall in Oberhausen super dran gewöhnen, dass dir das Wasser ständig in’n Hals läuft. Aber im Ernst: Bei uns geht es eigentlich noch. Es geht nicht gut, aber es geht.
Interesse an staatlichen Zuwendungen?
Würde ich nehmen, gibt es aber nicht. Und das Phänomen ist: Alle, die Staatsknete kriegen, kommen damit nicht aus. Das ist dann so wie bei RUHR.2010.
Ist Oberhausen eigentlich wichtig?
Auf dieser Welt? Nö! Aber ist München wichtig auf dieser Welt? Oberhausen ist wichtig für die, die hier wohnen. Das ist ja das, was ein Politiker nicht mehr begreift, besonders dann, wenn er in Düsseldorf sitzt. Mein Lieblingssatz bezieht sich auf den dortigen Regierungspräsidenten und lautet: Büssow, du Arsch, ich muss hier leben! Oder wahlweise: Ich will hier leben. Ich muss ja nicht. Aber für mich ist die Stadt wichtig, sonst wäre ich hier weggegangen. Es ist furchtbar schlimm hier, wie im ganzen Ruhrgebiet übrigens. Zumindest, wenn ich das hier vergleiche mit Hamburg. Wenn ich Oberhausen aber vergleiche mit Ludwigshafen, dann sag ich immer: So schlimm ist es hier gar nicht. Es gibt in Oberhausen drei Soziokulturelle Zentren. Dann gibt es das Ebertbad als freie Theaterproduktionsstätte und Kabarettbühne. Dann gibt es die Nieburg mit ihren eigenen Produktionen. Dann gibt es die Kleinstädter Bühne in Sterkrade. Und dann gibt es noch ein Stadttheater. Und das alles bei 200.000 Einwohnern. Dafür haben wir eine Menge Kulturangebote. Und die sind fast alle nicht städtisch, sind entweder ohne Stadt oder gegen Stadt. Und es funktioniert. Es funktioniert natürlich nur mit Selbstausbeutung. Aber lieber selbstausbeuten als von anderen ausgebeutet werden.
Und Rot-Weiß Oberhausen?
Als kleiner Junge wurde ich RWO-Fan, weil alle anderen Wimpel am Büdchen schon ausverkauft waren. Das ist immer noch so. Vielleicht geht Ahlen noch schlechter weg.
Warum überhaupt Fußball?
Da können wir wieder einen Bogen schlagen zu RUHR.2010. Ich halte Fußball mit allem drum und dran für eine Kultur, und im Ruhrgebiet besonders. Das gibt es nicht noch mal so. Diese Kultursparte wird von den meisten Leuten hier besucht, mehr als dass sie ins Theater gehen oder ins Museum. Und Fußball kommt bei der Kulturhauptstadt nicht vor, nicht wirklich. Das ist doch Hirnriss pur. Wer macht denn bei RUHR.2010 Programm? Doch niemand, der sich mal zu Fuß mit Kontakt zu bildungsfernen Massen durchs Ruhrgebiet bewegt hat.
Warum sind Sie Präsident geworden?
Der Verein war am Arsch. Wir haben mit zehn, elf Leuten dann wieder angefangen. Das haben wir jetzt fünf Jahre gemacht. Die Wahrnehmung in der Stadt ist in der Zeit sicherlich um mehrere hundert Prozent gewachsen. Wenn wir uns auf Dauer in der 2. Liga halten können, sind wir gut. Mehr geht nicht. Ich fand uns gut.
Das klingt nach Vergangenheit.
Alles, was jetzt ist, ist Alltagsgeschäft. Es kostet auch viel Zeit. Wenn es schlecht läuft, gehen da 60 Stunden in der Woche für drauf, wenn es gut läuft nur 30. Ehrenamtlich kann ich das nur begrenzt machen.
Müssten Sie sich noch eine Wurstfabrik nebenbei zulegen.
Die Zeiten, Wasser schnittfest zu machen und damit Geld zu verdienen, sind auch vorbei. Beim Fußball ist es ähnlich wie bei anderer Kultur im Ruhrgebiet. Ständig bist du am Existenzminimum und kommst nie einen Schritt weiter. Aber es macht ja auch Spaß, ist keine Heulerei. Dem Frank Goosen sein Opa brachte es auf den Punkt: Woanders ist auch Scheiße.
Interviewserie „Über Tage“
„Über Tage“ handeln, ohne „unter Tage“ zu vergessen. trailerruhr spricht mit streitbaren Menschen über das Ruhrgebiet.
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