Jana Sterbak ist sehr, sehr nachdenklich. Nichts passiert einfach so. Das betrifft selbst die Teilnahme an der Pressekonferenz im Lehmbruck Museum. Daraus wurde eine vielsagende Performance, auch wenn (oder weil) sie fast nichts sagte. Jana Sterbak nickte oder schüttelte langsam den Kopf. Das Gesicht – und damit die Mimik, welche die Aussagen differenzieren könnte – blieb unter einer Maske verborgen, die lediglich die Augen freigab. Das Stoffgewebe setzte sich fort als weitmaschiger Baumwollumhang, der bis zu den Füßen reichte. Also, die Figur von Jana Sterbak war zu sehen, aber doch auf Distanz gerückt. Und sie wurde in dieser Verhüllung noch zum skulpturalen Gegenüber, indem sie sich im Duisburger Museum neben einer Plastik von Wilhelm Lehmbruck positionierte: Ausdruck ihres Respekts gegenüber dem deutschen Bildhauer und zugleich eine kleine Demonstration, dass in ihrer Arbeit der Mensch das Maß aller Dinge ist.
Die Frage des Aussehens ist demgegenüber irrelevant. „What's important is my work and not how I look“, sagt Jana Sterbak. Nein, ihr Umhang sei kein politisches Statement – etwa zur Burka –, es handle sich ganz einfach um eine Karnevalsmaskierung. Ihre konzeptuelle Kunst, die sich vor allem in der Konzentrierung aller Aspekte und im Weglassen jeder Ausschweifung äußert, ist konkret, greifbar.
Jana Sterbak geht es um Körper und Leiblichkeit, weiterhin um Zeit, Altern und Vergänglichkeit, um die Essenz der schieren Existenz und um Selbstbehauptung. Und sie arbeitet die Eigenschaften ihrer Materialien heraus. Sie stimuliert die Sinneseindrücke, etwa in der Vorstellung von Geschmack durch die Verwendung von Lebensmitteln oder im Erzeugen von Hitze. So ist auf einem Metallgerüst eine Art Krone angebracht. Kommt man der Konstruktion nahe, beginnt die Krone zu glühen und die Umgebung wird spürbar warm. Eine andere Arbeit besteht aus der Zeichnung eines fensterlosen Hauses, in dessen Räumen, beschrieben mit Worten, physische und psychische Folterungen vorgenommen werden. Sterbak hat Berichte häuslicher Ereignisse aus der New Yorker Tagespresse ausgewertet. Natürlich demonstrieren beide Werke Hierarchien in sozialen Gefügen und die Ausübung von Macht.
Mit Jana Sterbak stellt das Lehmbruck Museum eine der eigenwilligsten Positionen zum Verhältnis des menschlichen Körpers zu seiner gesellschaftlichen Umgebung vor. Der Ausstellungstitel „Life-Size“ ist Programm für ihr gesamtes, seit Ende der 1970er Jahre entstehendes Werk. Die tschechisch-kanadische Künstlerin, die in Prag geboren wurde und schon lange in Montréal lebt, arbeitet mit den Dimensionen und Bedingtheiten des Menschen. Das ist selbst bei den Glaskugeln der Fall, die den Ausstellungsbesucher im Museum empfangen. Ihr wechselnder Durchmesser richtet sich danach, was der Glasbläser beim Blasen an Gewicht halten konnte. Über ihre Verwendung von Glas hat Sterbak im Interview im Katalog gesagt: „Die Qualitäten, die mich interessieren, sind die Schwere, die mineralische Qualität, die Transparenz und die extreme Zerbrechlichkeit.“
Bekannt wurde Sterbak mit „Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorexic“ (1987). Rohe Fleischstücke sind zu einem Kleid zusammengenäht. Im Laufe der Zeit wird das Fleisch dunkel, dörrt aus und wird zu Leder: ein Prozess, der in der Ausstellung (für die das Kleid jedes Mal neu hergestellt wird) zu beobachten ist. Zwischen provokativer Abstoßung und Anziehung, rohem, existenziellem Ausdruck und der Demonstration von hedonistischem Luxus (was bekanntlich Lady Gaga später aufgriff), hat Sterbak damit ihr Konzept ausformuliert, dem sie bis heute folgt. Die Metamorphose von Substanz bleibt eines ihrer Leitmotive. Auch arbeitet sie immer wieder mit dem Tragen von Kleidern oder mit Konstruktionen, in die der Körper gezwängt ist. Jedes Werk ist ausführlich konzipiert – mit dem Nebeneffekt, dass Erklärungen der Ausgangsidee mitgeliefert werden müssen und jedes Werk für sich präsentiert werden sollte. Das macht die Ausstellung im Lehmbruck Museum nun zu einem Parcours besonderer Ereignisse: Reine Gedankenkunst wird zu Form und ihrer Fragmentierung.
„Jana Sterbak. Life-Size. Lebensgröße“ | bis 11.6. | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
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