Der Abend könnte vielversprechender anfangen. Bei winterlicher Kälte, Regen und Dunkelheit spült die U-Bahn massenweise "Kraftklub"-Fans direkt in die Warteschlange vor den Eingang der Dortmunder Westfalenhalle. Einzige Ablenkung bietet überteuertes Bier. Auch die Frage an der Pressekartenausgabe lässt Böses ahnen: „Sitzen oder stehen?“. Sitzen? Nachdem man durch die Security gefilzt und von der gestressten Gardrobiere angemeckert wurde, drückt man sich in den Innenraum der Halle. Ein schweifender Blick schätzt das Durchschnittsalter des Publikums auf 14. Die Jungs von „Vierkanttretlager“ aus Husum geben bereits ihr Bestes. Sie durften ihr Schifferklavier auch schon mal bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest erklingen lassen. „I Heart Sharks“ erfreuen mit ihren elektronischen Spielereien danach den musikalischen Sachverstand einiger, verwirren als Überraschungssupport aber die breite Masse. Danach erneuter Umbau, Soundcheck, schon wieder warten.
Doch bevor sich Melancholie einstellen kann, erscheint Felix Kummer, Frontmann von "Krafklub", endlich auf der Bühne. Was sich in den folgenden anderthalb Stunden abspielt, macht alles Vorhergegangene augenblicklich vergessen. Wer je gezweifelt hat, dass "Kraftklub" eine Halle mit tausenden Besuchern rocken könnten, wird eines Besseren belehrt. Vielleicht trifft dies am meisten auf die Band selbst zu. Felix kommuniziert sichtlich gerührt von der Stimmung im Saal mit dem gesamten Publikum. Gitarrist Karl und Bassist Till paffen ununterbrochen. Schon bei „Ritalin“ und „Melancholie“, den Hits des Debütalbums „Mit K“, hängt ihnen fortwährend die Kippe aus dem Mundwinkel. In einer Location in der ungefähr alles verboten ist außer zu atmen, wirkt dies wie eine sympathisch anarchische Attitüde. Als Kulisse flackert ein illuminiertes K, buntes Stroboskoplicht und die Nebelmaschine ackert. Davor macht eine wirklich außergewöhnliche Band schlicht ihr Ding und genießt.
Von der großen Kulisse unbeeindruckt: "Kraftklub". Foto: Maxi Braun
Dabei ist das Phänomen "Kraftklub" noch ein relativ junges. Erst Ende 2009 als Fusion aus Deutschrap und Indierock gegründet, macht die Band aus Chemnitz zuerst einmal tanzbare Atzenmusik. Ihre eingängigen Lyrics von „Scheissindiedisko“ bis „Ich will nicht nach Berlin“ kann man auch prima im Vollrausch mitsingen.
Darüber hinaus sind ihre Texte aber mit zahllosen Reminiszenzen an die vergangenen Rock- und Popmusikjahrzehnte gespickt. Hinzu kommen lauter intelligente, augenzwinkernde Anspielungen: Auf die Gesellschaft, die Medien oder zwischenmenschliche Beziehungen. Verneigungen vor "The Cure" oder "Oasis", die jedoch so selbstreflexiv und ironisch daher kommen, als würde Quentin Tarantino Popmusik machen. Auch musikalisch beherrschen "Kraftklub" die Bühne. Das gilt sowohl für den melodiösen bis rotzigen (Sprech)Gesang von Felix und Karl, als auch für den Rest der Band. Auf „Mit K“ dominieren Up Tempo-Nummern, die irgendwie all die „The“-Bands und Britpop-Ensembles aufgezogen und daraus einen eigenen, deutschsprachigen Stil gemacht haben.
Was an diesem Freitagabend live abgeht, ist die pure Euphorie einer im Herzen noch noch immer angenehm kleinen Band. Statt sich von dem gigantischen, immerhin bis zu mehr als 15.000 Besucher fassenden Moloch verschlingen zu lassen, wirken "Kraftklub" wie eine tollwütige Rasselbande auf dem Abenteuerspielplatz. Von der ersten Sekunde an stimmt die Harmonie im Saal. Felix' aufrichtige Bescheidenheit verliert sich bei jedem neuen Song und wechselt in pure Präsenz. Die Masse feiert den Schlacks mit den roten Hosenträgern, lässt ihn durch die gesamte Breite der riesigen Halle stagediven und gehorcht jedem seiner Kommandos. Vielleicht gerade weil er darauf und auf das eigene Charisma mit genuiner Fassungslosigkeit reagiert.
Bei der Zugabe erklingt aus vielen Kehlen unisono, a capella und fehlerfrei die erste Strophe von „Songs für Liam“, im Anschluss entert der aus Spaß mitgereiste „Casper“ die Bühne und bei „Kein Liebeslied“ werden statt Feuerzeugen Smartphones geschwenkt. Am Ende explodiert eine Konfettibombe. Sicher hat man dergleichen Spielereien schon unter anderem bei „Deichkind“ gesehen, aber der gewisse Indiecharme, mit dem "Kraftklub" am 2.11. mal eben lässig aus der Hüfte die Westfalenhalle rockte, sucht dennoch seinesgleichen.
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