Wer beim Titel die übliche Milchbar und Baseballschläger erwartet hatte, der rieb sich wahrscheinlich erst einmal die Augen und schaute verstohlen auf seine Eintrittskarte, ob er nicht doch im falschen Theater oder in der falschen Aufführung gelandet ist. Als dann auch noch ein gewisser „D. Love“ mit seinem perfekt gedolmetschten Vortrag loslegte, da war die Verwirrung schon fast fühlbar. Neuroökonom Paul Zak erklärt, dass Glücklichsein nur eines chemischen Prozesses bedarf, er sprüht mit Oxytocin um sich, ein Stoff, der viel effektiver sein soll als große Alkoholmengen, um das Gegenüber im besten Licht erscheinen zu lassen. Zak nennt es in seinem Vortrag Moralmolekül, die Waffe gegen das böse Testosteron.
Gewalt ist also beherrschbar wie das Glücklichsein. Das Publikum liegt sich daraufhin willig in den Armen, Mitmachtheater wird die von Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer so titulierte „Science Lecture“ glücklicherweise nicht.
Der Vorhang lichtet sich, und wir sind in der Villa des Schriftstellers Alexander und seiner Frau, die nun von Alex und seinen zwei „Droogs“ überfallen werden, die ihre Küche zu Yilmaz‘ Spätkauf umfunktionieren und Wiener Würstchen eine ganz neue Bedeutung verleihen. Aber die drei Genießer extremer Gewaltexzesse sind weit entfernt von Anthony Burgess' pessimistischer britischer Zukunftsvision „A Clockwork Orange“ von 1962, die zehn Jahre später mit dem damals jungen Malcolm McDowell verfilmt wurde. In Schmidt-Rahmers Inszenierung spielt Milch keine und Beethoven nur eine minimale Rolle, er nutzt den Roman als Vehikel für eine Auseinandersetzung mit dem Stand der neuronalen Forschung, die bald in der Lage sein will, unser Leben auf eine völlig neue Stufe zu heben. Doch noch dominieren auf der Bühne ADHS, Missbrauch und Migrationsprobleme, in Essen heißen alle Droogs Alex, und sie kennen sich mit den Ursachen ihrer Gewaltbereitschaft gut aus. Die Szenerie gerät zum Labor, in dem sie sich wie Versuchstiere benehmen und beobachtet werden können. Dabei misst ein Neurobiologe die biochemisch messbaren Reaktionen der Gehirne und leugnet dabei wie Sam Harris frech den freien Willen.
„Clockwork Orange“ I Sa 11.5. 19.30 Uhr I Grillo, Essen I 0201 812 26 00
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