trailer: Herr Dennemann, Kunst und Kleingarten – geht das zusammen?
Rolf Dennemann: Nein.
Aber dann ...?
Das ist das Klischee, dass es nicht zusammen geht. Der Hintergrund ist ja der, dass, wenn ich jetzt als künstlerischer Leiter und Regisseur rede, dies in einen Zusammenhang gehört, der über mehrere Jahre geht. Das heißt also: Themengebiete wie Stadt, Rückzugsgebiet der Städter, Natur und so weiter. Darunter fällt das. Der Schrebergarten hat, im Gegensatz zu dem Friedhof, den wir zuletzt bespielt haben, mit Menschen zu tun. Der Kleingarten selbst und die Menschen, die dort Zeit verbringen, sind mit Klischees belegt. Sie selbst sagen zwar, das sei nicht so, aber letzten Endes ist es doch so. Unter den hundert Gartenanlagen in Dortmund hat sich einzig die Anlage Hafenwiese gemeldet. Man muss mit den Menschen sprechen, dann sind die eigentlich ganz offen. Natürlich sind das nicht alles kunstaffine Menschen. Und so ist auf deren Seite die Kunst mit Klischees belegt und zwar in höchstem Maße. Man kann also mit der Bespielung der Anlage beidseitig Klischees abbauen. Das ist zwar nicht die vordergründige Idee, aber doch ein nicht unwesentlicher Aspekt unserer Motivation, dies zu tun.
Was passt Tuvia Tenenbom da hinein?
Tuvia Tenenbom ist ja Teil des Festivals OFF LIMITS und nicht Teil der Garteninstallation. Wir haben vor zwei Jahren beschlossen, einen Observer in residence einzuführen, das heißt, jemanden einzuladen, der noch nie bei diesem Festival war, eigentlich auch noch nie in Dortmund. Der also herkommt als Künstler und mit seinem Blick die ganze Sache beobachtet und hinterher darüber berichtet. Nun ist Tenneboom eigentlich eine Ausnahmegestalt. Erst einmal kommt er aus New York, ist Jude und Leiter des jüdischen Theaters dort. Er ist Journalist und auch noch lustig. Weil wir uns kennen, wollte es der Zufall, dass diese Zusammenarbeit zustande kam. Dass er herkommt und diese kuriosen Dinge, die wir hier betreiben oder auch nicht, beobachtet und kommentiert.
Das Motto des Symposiums im Festival ist „pars pro toto“. Welcher Teil des Programms steht also fürs Ganze?
Ich. (lustige Pause) Na ja, Scherz beiseite. Das Motto bezieht sich ja auch auf den Begriff der Partizipation, der wird ja hin- und hergedudelt. Ich weiß nicht, ob weltweit, aber das ist halt angesagt. Aber was bedeutet das eigentlich? Wir nehmen uns ein paar Laien und stellen die da auf, und schon sind die dabei, oder bedeutet es das große Ganze, die gesellschaftliche Partizipation? Wie kriegt man die Kunst überhaupt noch an die, die sie angeht? Das Problem ist nicht neu, aber wird schärfer. Die Gruppen, die keinen Zugang haben oder nicht wollen, werden größer und vielfältiger. Darüber muss man reden, was ich aber meine, ist, dass sich als Teil eines Kunstwerks Fühlen ein ganz besonderes Erlebnis ist, und das drückt sich ganz besonders aus in dem Gastspiel der Londoner A2 Company, die selbst gar nicht auf der Bühne erscheint, sondern mit rund 40 ganz normalen Menschen quer durch die Generationen einen Abend gestaltet, und die sind dann das Kunstwerk. Ich habe es selbst gesehen in der Wiener Fassung. Hier im Garten ist es genauso, wenn der eine oder andere Parzellenbetreiber mit seiner Gattin Teil des Ganzen wird und nicht als Kulisse, sondern als zu beobachtendes Objekt im Kunstwerk.
Was bedeutet für Sie Idylle?
Das wechselt. Ich wehre mich nicht gegen die Postkartenidylle Palme, Wasser Strand, Mädels und ein bisschen Nachdenken. Mittlerweile ist Idylle aber eher ein Garten, was Grünes, und das immer mehr. Das geht wohl vielen so. Man sieht diese Entwicklung hier an der Anlage. Es gibt Nachfrage wie seit Jahren nicht mehr, und es gibt Pächter, die in dieses Klischee gar nicht mehr passen. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die empfinden eine Industriebrache als Idylle.
Und die Idylle als Künstler?
Für mich findet sich mittlerweile eine künstlerische Idylle nie in geschlossenen Räumen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich bin auf dem Land groß geworden, und wenn ich heute draußen sitze und weit schauen kann, dann erlaubt das Gedankengänge, die man nie in geschlossenen Räumen zustande bringt. Das leere Blatt Papier, selbst wenn es leer bleibt, ist nie so bedrohlich, als wäre dieses leere Blatt in einem Raum.
Was ist also die Zukunft der Kultur im Revier?
Nehmen wir jetzt den weitgefassten Kulturbegriff, unter den auch Ärztekongresse und Religionen fallen, oder reden wir über Kunst?
Wir reden über Kunst.
Niemand ist ja hier Wahrsager, aber ich befürchte, dass die Zukunft nicht so rosig aussieht, wie mancher behauptet. Das hat aber nicht nur mit Struktur und Förderung zu tun, sondern mit Menschen selbst. Ich empfinde das hier alles als ungeheuer brav. Man kann sich keine Leute basteln, die außer zu nörgeln auch noch etwas anderes tun. Also, eigentlich wünsche ich mir den Zwergen-Aufstand. Der kleine Mann auf der Straße, sei er Künstler oder Bäcker, da gibt es nur noch Lethargie. Und was hier mit der Kunst passiert, da gibt es vereinzelt sehr viel, das wissen wir alle, in den kleinen Parzellen des Reviers passieren ungeheure Sachen. Aber es findet nicht zusammen, vielleicht gehört es auch nicht zusammen. Was das Große angeht, wir gehen ja jetzt auf 2010 zu, mir tun die Veranstalter und Macher inzwischen ein bisschen Leid, weil kurz vorher festzustellen, dass zu wenig Geld da ist, ist ziemlich eigenartig. Es sieht so aus, als ob der Wasserkopf des Apparates das eigentlich Wichtige ist. Die Organisation und die Ankündigung sind also bereits das Ereignis. Wenn das durchgehalten wird, fände ich das interessant. Es gibt also ein Ankündigungsjahr, und die Nachhaltigkeit ist, dass man sich daran erinnert. An die Ankündigung natürlich.
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