Elektronische Musik, live produziert, nicht für die Tanzfläche sondern ein Konzertpublikum. Kann das funktionieren? Das Team der innovativsten Konzertreihe Bochums, Urban Urtyp, hat das Experiment gewagt – zum ersten Takt der Saison, den Elektro-Poduzent Numinos gefolgt von der Kölner Elektropop-Band Coma vorgab.
Vor Laptop, Kaoss-Pad und einem wilden Knäuel Kabel sitzt Numinos, der aussieht, wie das menschgewordene Klischee eines Musik-Nerds: Baseball-Kappe und Drei-Tage-Bart, bodenständig, sympathisch. Was letztlich ganz egal ist, denn der (innere) Blick ruht auf den Klanglandschaften durch die er uns führt, mal so kalt und faszinierend wie ein Wolkenkratzer aus Glas und Stahl im tiefsten Winter, dann folgt wohlig-warmer Downbeat, der zum Kuscheln einlädt wie eine verranzte Kiffercouch. Erinnert sich noch jemand an die Zeit, in der Dubstep „cool" war? Und auch noch an die davor, als er gut war? Numinos tut es, und zwar auf eine Weise, dass selbst die (ursprünglich gar nicht mal) genretypischen Wobbel-Sounds wie durch Zauberhand wieder eine Daseinsberechtigung bekommen. Ein etwas anderes Konzert, dass keine Fragen offen lässt. Außer: was genau macht Numinos dort eigentlich genau an seinen Geräten? Und wieso finden sich auf Soundcloud & Co. nur so erschreckend wenige Stücke von ihm, abgesehem vom grandiosen Eyjafjallajökull?
Fürs Publikum mag es gewöhnungsbedürtig sein, einem Musiker zuzuschauen, ohne genau zu wissen, was er da treibt, wenn er an diesem oder jenen Regler dreht – für den Künstler dürfte es eine schöne Abwechslung gewesen sein, mal nach jedem einzelnen Song Applaus zu bekommen, statt Übergang an Übergang zu reihen und tanzen zu lassen.
Tanzen ja, zum Tanzen wäre bei Numinos die Gelegenheit gewesen. Die Kölner Band Coma fährt eine der ruhigsten Schienen die es gibt: sphärischen Elektropop, natürlich als Band auf die Bühne gebracht. Der Drummer spielt akustisches Schlagzeug und E-Drums, je nach Bedarf. Überhaupt: Synthies, E-Bass, alles mögliche geht ineinander über zu einem schlüssigen Klangbild. Laut Albumtitel dürfte so wohl die andere Seite des Paradieses klingen. Wen die numinosen Bässe in die Ekstaste trieben, bekam von Coma den passenden Soundtrack zum Runterkommen.
Das nächste Urban-Urtyp-Konzert bringt zwei Bochumer Bands in den Kubus: Tired Eyes Kingdom und MND TRCK, am Sonntag (30.10.), wie gewohnt um 19 Uhr in der Christuskirche.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
6 String Theory
Lee Ritenour lehrt in Bochum Musikgeschichte – Improvisierte Musik in NRW 07/18
Aufklärer alten Schlages
Robert Menasse mit „Die Hauptstadt“ am 9.5. in der Christuskirche Bochum – Literatur 05/18
Beschwörung des europäischen Geistes
„Quo vadis, Europa“ mit EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am 12.4. in der Christuskirche Bochum
Das Eldorado musikalischen Eigensinns
Die Bochumer Konzertreihe Urban Urtyp setzt auf Sperriges – Popkultur in NRW 12/17
Regen zum Saison-Abschluss
Karsten Riedel am 30.4. in der Christuskirche Bochum – Musik 04/17
Emika vereint alles
Emika am 15.1. in der Christuskirche Bochum – Musik 01/17
Laute Mädchen
Konzerte zum Träumen, Mitwippen und in die Luft springen – Popkultur in NRW 01/17
Druck braucht Freiraum
Urban Urtyp-Vorspiel am 18.9. in den Schlegel-Kellern – Musik 09/16
Der Vibe der Stadt, eingefangen im Kubus
Die Festival-Saison ist vorbei, die Urtyp-Saison beginnt – Popkultur in NRW 09/16
Zerstören, was zerstört
Laibach reißen alle Ideologien in der Christuskirche nieder – Musik 04/16
Stille Ekstase
Cigarettes after Sex in der Christuskirche Bochum – Musik 03/16
Liebe, Lust und ungeübte Knutscher
Navid Kermani liest in der Christuskirche am 9.12. – Literatur 12/15
Pessimistische Gewürzmädchen
Maustetytöt im Düsseldorfer Zakk – Musik 11/24
Komm, süßer Tod
„Fauré Requiem“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal – Musik 11/24
Konfettiregen statt Trauerflor
Sum41 feiern Jubiläum und Abschied in Dortmund – Musik 11/24
Erste Regel: Kein Arschloch sein
Frank Turner & The Sleeping Souls in Oberhausen – Musik 10/24
Eine ganz eigene Kunstform
Bob Dylan in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Matrix Bochum – Musik 10/24
Sich dem Text ausliefern
Bonnie ,Prince‘ Billy in der Essener Lichtburg – Musik 10/24
Improvisationsvergnügen
Das Wolfgang Schmidtke Orchestra in der Immanuelskirche – Musik 09/24
Essen-Werden auf links drehen
Cordovas im JuBB – Musik 09/24
Rock ‘n‘ Roll ohne Schnickschnack
Gene Simmons und Andy Brings in der Turbinenhalle Oberhausen – Musik 08/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Bochum und Köln – Musik 07/24
Musikalische Feier
Markus Stockhausen Group im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – Musik 07/24