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Legal, illegal, scheißegal. Manche Kunstform kann eben nur im Untergrund gemacht werden
Edi Szekely

„Offiziell wird niemand zugeben, dass er in der Öffentlichkeit sprayt“

25. Februar 2011

Das Essener Grillo-Theater wird bei „Headspin Critical Mess“ zum Tummelplatz illegaler Sprayer und Breakdancer - Premiere 03/11

Es waren die illegalen Straßenparties der New Yorker Jugendlichen, die in den 1970er Jahren einen neuen Lebensstil begründeten. Mit Breakdance, Rap, DJing und Graffiti war der Hip Hop geboren. Doch was für die einen der totale Thrill oder gar eine neue Kunstform im öffentlichen Raum ist, ist für andere Ausdruck purer Respektlosigkeit, Verwahrlosung und Kriminalität. Schauspieler, Tänzer, Rapper und Sprayer untersuchen in “Headspin Critical Mess” das Spannungsfeld zwischen Bürgerlichkeit und Protest und begeben sich gemeinsam auf die Suche nach ganz persönlichen Geschichten.

trailer: Hip-Hop-Theater in Bochum, in Oberhausen, in Dortmund, jetzt auch in Essen?

Anna K. Becker: Es ist tatsächlich ein Trend, der gerade entdeckt wird. Aber es gibt viele Adaptionen. Manche inszenieren „Romeo und Julia“ mit Hip Hop oder übernehmen nur den virtuosen Tanzaspekt. Unser Ansatz ist eigentlich ein anderer. Es geht um Hintergründe, um Hip-Hop als Kunstform, die kein Alibi im Theater braucht. Auch um die Frage nach der Subkultur, den künstlerischen Potentialen jenseits ihrer Vermarktung. Weil wir sehr viel mit den Beteiligten und ihrer Biografie, also ziemlich dokumentarisch arbeiten, ist es etwas anderes als diese Shows, die durch Hip Hop angereichert werden. Wir versuchen das real auf die Bühne zu stellen.

Nehmen wir mal den Titel. Also „Headspin“, das kann ich mir vorstellen. „Critical Mess“, da kann ich mir nichts drunter vorstellen.

Anna K. Becker
Foto: Theater Essen
Anna K. Becker studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaften. Sie arbeitet als freie Regisseurin und Dramaturgin in Deutschland und in der Schweiz.

Anna K. Becker: Das ist ein Art Wortspiel, abgeleitet von den Critical Masses. Das sind Bewegungen, ähnlich wie Flashmobs, aber immer mit politischem Hintergrund. Mittels moderner, schneller Kommunikation bringt man viele Menschen an einen Ort, um zu protestieren, auch um sich als Gruppe, und wo- gegen man ist, sichtbar zu machen. Wir haben jetzt die mess, also die Unordnung, das Chaos dazu genommen, und den „Headspin“, diese berühmte Figur aus dem Hip-Hop. Im Graffiti gibt es auch eine Kultur des Cross, das heißt man crossed das Tag von jemand anders, indem man über den Schriftzug malt oder ihn durchstreicht und so zeigt, dass man den nicht gut findet. Wir haben quasi unseren eigenen Titel durchgestrichen, kritisch gecrosst mit der Frage nach dem Mainstream. Der Begriff Headspin ist schon fast ein Klischee und insofern eine Beleidigung für alle Leute, die sich schon so lange damit auseinandersetzen.

"Also wir versuchen eher konstruktiv mit diesen Schubladen von Lebensvorstellungen zu jonglieren" (Anna K. Becker)

Was wird es denn jetzt? Ein Theaterstück? Eine Choreografie? Eine Performance?

Sebastian Zarzutzki: Würde ich alles verneinen.

Anna K. Becker: Alles ja und alles nein. Die Art von Tanz, die Samir Akika inszeniert, ist ja meist immer als Tanztheater angelegt, weil da auch gesprochen und performt wird. Wir haben auch Live-Musiker auf der Bühne, also könnte es im weitesten Sinne auch ein Musical sein. Es wird getanzt, gespielt, gesprochen, es wird gesungen, es wird diskutiert, es werden relativ viele Spiele gespielt, vielleicht wird auch gebastelt und gemalt. Mit einem Happening würde man jetzt auch nicht falsch liegen. Performance stimmt ja immer. Wir haben Sprayer. Das Spartenübergreifende wird hier wirklich ausgekostet.

Was ist mit dem Sprayen, das in seiner Ursprünglichkeit illegal stattfindet? Im Theater kann es nur legal stattfinden. Ich denke, das muss ja irgendwie eingebunden sein in eine bestimmte Performativität. Sprayen die auf die Bühne?

Samir Akika
Foto: Theater Essen
Samir Akika, Tanzstudium an der Essener Folkwang, erhielt den Kurt-Jooss-Förderpreis und wurde von Pina Bausch 2001 für das Förderprogramm des Hansischen Goethe-Preises nominiert.

Samir Akika: Im Theater ist das nicht so einfach. Das Sprayen dauert, man muss ja warten, bis es trocken ist. Dann sind ja auch noch die Musiker und Tänzer auf der Bühne. Erst bei der Performance wird alles zusammenarbeiten. Offiziell wird niemand zugeben, dass er in der Öffentlichkeit sprayt.

Anna K. Becker: Wir haben das momentan noch ein bisschen ausgelagert, weil man es auf der Bühne nicht machen kann; oder wenn man es da macht, dann ist es nicht mehr illegal, denn man besprüht ja nicht die Theaterwände, ohne gefragt zu haben. Aber das ist ein wirklich spannender Punkt. Wir befinden uns an diesem sicheren Ort des Theaters und sprechen über Dinge, die eigentlich solche Systeme stören sollen. Fast alles, was wir machen, würde niemand ernst nehmen, sondern als Theater begreifen. Es sei denn, wir versuchen Drogen zu verkaufen. Das wird eine unserer Zündstellen sein, dass man sich fragt, wer kann denn was wo, ohne dass man banal kriminell wird.

Die Produktion firmiert nicht unter dem Schlagwort Jugendtheater?

Nein.

Und was soll das Abo-Theaterpublikum da lernen?

Anna K. Becker: Also in Samirs und meiner Arbeit ist nichts, was die Leute so dringend lernen sollen, so aufklärerisch verstehen wir uns gar nicht. Wir ermöglichen Kontakte und regen zum Nachdenken an. Wofür und wogegen war ich und bin ich jetzt? Habe ich früher selber Häuser besetzt, und jetzt wohne ich in der noblen Gegend? Ist auch in Ordnung, darf man ja. Auch gleichzeitig freie Szene machen und Golf spielen. Also wir versuchen eher konstruktiv mit diesen Schubladen von Lebensvorstellungen zu jonglieren. Auch um die einzige Antwort zu finden, die wir schon kennen: Man kommt den Dingen nicht bei mit diesen Schubladen. Aber es gibt zum Glück die, die immer daneben stehen. Es gibt dieses Dreieck zwischen dem Markt, der Subkultur an sich und den Potenzialen, die die Welt verändern können.

Wo bleibt das Geldverdienen?

Sebastian Zarzutzki
Foto: Theater Essen
Sebastian Zarzutzki ist freier Regisseur und
Theaterautor. Nach seinem Studium der
Musik- und Theaterwissenschaften in Köln
war er als Regieassistent am Rheinischen
Landestheater Neuss und am Staatstheater
Mainz tätig.

Sebastian Zarzutzki: Vermarktung ist in jedem Fall ein großes Thema. Dass Jugendkulturen vereinnahmt werden, dass bestimmte Modetrends gesetzt und verkauft werden, die ganze Musikindustrie will verdienen.

Anna K. Becker: Es gibt immer dieses Problem, dass die Subkultur, die Avantgarde irgendwann vereinnahmt wird von denen, die was vermarkten wollen. Spätestens dann kommt die nächste Generation, die sagt, das ist ja alles Kommerz, nur ich bin richtig Untergrund, denn wer richtig Untergrund sein will, der kann eigentlich nicht richtig die Kasse klingeln lassen. Bei den Graffitikünstlern beginnt das Problem schon bei Kunstpreisen. Wer soll die denn abholen, wenn man sich nicht enttarnen will. Also Untergrund oder berühmt werden.

Headspin Critical Mess I Sa, 26.3., 19.30 Uhr (Uraufführung)
I Grillo-Theater, Essen I 0201-8122200

Peter Ortmann

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