Eintritt in die stille Abwesenheit. Eine Wand mit beiger Tapete, zwei weiße Flächen, die auch durch abgehängte Bilder entstanden sein könnten – und ein rostiger Ständer mit getrocknetem Kalebassen-Kürbis, in dem tierische Krallen stecken. Schon der Eintritt in die Ausstellung „Heavy Metal Honey“ im Ostflügel der Bonner Bundeskunsthalle ist mysteriös. Der Georgier Vajiko Chachkhiani, der sein Land 2017 bei der Kunstbiennale in Venedig vertrat, ist Schöpfer einer ungewöhnlichen Gesamtinstallation, die durch zwei ungewöhnliche Videos geklammert wird, die die imaginäre Schwelle zum Kino-Kurzfilm längst überschritten haben. Die Projektion „Winter which was not there“ (Video, 12:30 Min, 2017) ist dramaturgisch wie ein Roadmovie aufgebaut, lange Portraitstudien und Landschaftsbilder strukturieren die Reise eines gestürzten Beton-Denkmals, das die Männer aus dem Meer gekrant haben und das nun hinter einem Pickup hängt und an einem Seil mitgeschliffen wird. Die eigentlich surreale Situation wird durch stoische Nichtbeachtung aufgeladen. Im Auto sitzt der Fahrer mit seinem schwarzen Hund, fast bewegungslos starrt er auf die Straße, interagiert mit dem Tier, hält mal an, das Radio spielt georgische Folklore. Die Betonstatue natürlich mit Gesicht zum Asphalt, löst sich auf, zerbricht, schleift ab, bis nur noch das Seil übrig ist, Mann und Hund und Pickup fahren immer weiter, die Abwesenheit der Figur ist nur visueller Natur, die Leine imaginiert sie noch, und so wird weitergeschliffen, bis der Fahrer eine Entscheidung trifft und die Tortur beendet.
Einen Schritt weiter steht man in Bonn in einem Filmset, dessen Video noch nicht gedreht wurde. Dürre hat Besitz ergriffen von Pflanzen und Objekten, rostige Stäbe teilen Bereiche ab, die Leere scheint bedrohlich. „Secret that mountain kept“ (Rauminstallation, 2018) ist neu und bezieht sich auf eine Katastrophe in Tiflis, wo im Juni 2015 nach Dauerregen im Zoo rund 300 Tiere in den Fluten ertranken. Ein entkommener weißer Tiger tötete einen Mann und wurde erschossen. In Chachkhianis Installation ist dieses Szenario längst vorbei, das Wasser ist weg, die Vegetation verdorrt. In den Volieren trockene Büsche, aber keine Tiere, und doch, auch hier scheint ihre Abwesenheit eine merkwürdige Präsenz zu erzeugen. Freiheit erlangten die Tiere nur durch den Tod. Die rostigen Stangen lassen sich jetzt als Reste von Gehege identifizieren, in zahlreichen drögen Büschen haben sich Kinderkarussell-Tiere verfangen.
Mit Regen soll es auch weitergehen. Den Ritt durch die Leere beschließt ein Video hinter einem Vorhang. Denn „Heavy Metal Honey“ (Video, 13 Min, 2018) hat gewalttätige Szenen. Harmlos fängt alles an. Ein Familientreff im Esszimmer. Es wird gebrabbelt, gegessen, gealbert – dass es dabei in Strömen auf den Tisch und das Essen regnet, scheint niemand wahrzunehmen. Nur die Mutter beobachtet mit starrem Blick in Großaufnahme. Dann steht sie auf, geht in die Küche, kommt wieder mit einer Pistole und beginnt einen nach dem anderen zu erschießen, ohne dabei eine einzige Regung zu erzeugen – alle essen seelenruhig im strömenden Regen weiter. Erst beim Sohn versagt die Waffe. Dann bietet Vajiko Chachkhiani zwei mögliche Finale an.
Heavy Metal Honey | bis 7.10. | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00
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