trailer: Wie arbeitet es sich in der Stadt mit den höchsten kommunalen Steuern Deutschlands, Herr Fiedler?
Florian Fiedler: Davon habe ich ehrlich gesagt noch gar nichts gemerkt. Vielleicht kommt die Frage auch ein bisschen zu früh. Ich arbeite ja schon für die Stadt, aber lebe noch nicht richtig in der Stadt. Gerade richte ich erst noch meine Wohnung hier ein, aber die Küche ist schon fertig. Bisher arbeitet es sich hier auf jeden Fall gut und es macht riesigen Spaß, wir freuen uns schon sehr auf die ersten Reaktionen im September. Das ist das, wonach wir jetzt gieren. Es wird so viel geredet über das Programm, zu viel, zu wenig, zu bunt oder nicht, aber wie die Leute reagieren, wenn wir Theater machen, das wissen wir eben noch nicht.
Aber Oberhausen soll jetzt erstmal brennen. Wofür brennt Oberhausen?
Das ist eine gute Frage. Und die kann man gar nicht oft genug stellen. Vielleicht finden wir das in den nächsten Jahren heraus.
Zumindest haben Sie im Theater einen „Pool“, wo man wieder abkühlen kann.
Genau. Der „Pool“ ist die ehemalige „b.a.r.“ im Theater Oberhausen. Wofür die Punkte standen, wusste längst keiner mehr und so haben wir gedacht, da muss erstmal ein neuer Name her. Wir sind dann darauf gestoßen, dass Oberhausen auch das „Palermo des Nordens“ sei. Davon haben wir uns inspirieren lassen, das hat mit einer Urlaubsanmutung zu tun. So kamen wir dann auf „Pool“, und das passt richtig gut, der Raum ist so lang – man könnte da Bahnen schwimmen. Vielleicht wird der ja auch mal geflutet, falls wir ihn leer gespielt haben.
Ein Ruheraum also?
Eigentlich ist das unser Raum für kleine Formate. Ich mag das sehr gerne, wenn man sich schnell und mal mehr und mal weniger spontan aufstellen kann. Weil man dabei als Zuschauer immer einen sehr direkten Kontakt zu den Leuten, die es machen, hat und wo man willkürlich oder unwillkürlich auch mal dazugehört – unsere kleinste Theaterbühne mit den größten Möglichkeiten.
Die erste Premiere ist ein Stück mit dem Titel „Schimmelmanns“. Ich verbinde mit dem Namen immer den Sklavenhandel in Dänemark, liege ich da falsch?
Nein, genauso ist es. Es ist der Grund für den Titel des Stücks, dass es im 18. Jahrhundert eine deutsch-dänische Sklavenhändlerfamilie gab, die so hieß.
Und worum geht es im Stück?
In „Schimmelmanns – Verfall einer Gesellschaft“ von Mario Salazar trifft eine Familie zusammen, die den Tod des Großvaters betrauert. Die Familie besteht fast komplett aus neuen oder alten Nazis mit ein, zwei Ex- oder Noch-SPD-MitgliederInnen. Alle treffen anlässlich der bevorstehenden Beerdigungsfeier aufeinander und dann geht es drunter und drüber. Das ist eine Art von „Nazi-Horror-Boulevard-Komödie“, eine richtige Handlung im Sinne von Entwicklung gibt es gar nicht so richtig. Aber es gibt auf jeden Fall ein paar Tote. Das alles hat einen sehr zugespitzten, bösen Humor – und der ist der interessante Punkt dabei. Der Autor arbeitet sich an den wiederaufkommenden faschistischen oder rechten Ideologien ab, aber auch deren Verquickungen in unserem Alltag. Aber es gibt im Text auch Zitate, zum Beispiel von der CSU: „Wir sind dagegen, dass sich unser weltoffenes Land durch Zuwanderung oder Flüchtlingsströme verändert.“ Das ist auch einer der ersten Sätze im Stück.
Botschaft mit Witz?
Nun, durch den sehr brutalen Humor, den Salazar im Stück anwendet, wird man immer wieder selbst überführt, die Denkstrukturen zu hinterfragen, die man selber in sich hat, selbst ohne sie zu wollen. Und manchmal eben auch ohne sie zu bemerken. Weil wir in einer hierarchisch, rassistisch und sexistisch geprägten Gesellschaft leben. Und das legt der Text sehr böse frei.
Aber sind die multinationalen Konzerne nicht weitaus gefährlicher als diese braune Mischpoke?
Ich kann das nicht beurteilen. Ich würde aber sagen, dass die zu den größten Gefahren gehören, die es gibt. Und ich würde auch sagen, dass es gut wäre, sich damit zu beschäftigen, das tue ich auch. Ein bisschen spielt das auch im Stück mit rein.
Das Ziel der politischen Haltung?
Es gibt eine Menge wichtige Themen, jetzt machen wir ein Stück über dieses Thema, Digitalisierung der Arbeitswelt, Abschaffung der Arbeit wäre auch noch ein wichtiges Thema gewesen, Erdüberhitzung auch. In den nächsten fünf Jahren schaffen wir vielleicht alle Themen. Ob wir sie alle lösen können, weiß ich nicht. Hajo Sommers, den Chef der Bar Falstaff, habe ich zumindest schon angesprochen, dass wir schauen, was und wo wir einkaufen. Coca-Cola oder Nestlé-Produkte gibt es schon gar nicht mehr. Das sind ja die Sachen, die jede und jeder zuerst einfach konkret machen kann.
Wie soll das Publikum nach der Premiere aus dem Theater gehen? Erfreut, kriechend, heulend?
Am besten alles und laut lachend. Ich mag ja Theater sehr gerne, wenn wirklich alles dabei ist. Wenn ich gelacht und geweint habe während eines Theaterstücks, finde ich das eigentlich immer toll. Das ist auch das, was ich in meinen Inszenierungen versuche zu erreichen. Aber es gibt auch Leute, die das überfordert, weil sie denken, entweder soll etwas lustig oder ernst ein. Meiner Ansicht nach muss ein Stück je ernster es ist auch desto lustiger sein, damit man es überhaupt aushält. Da gibt es unterschiedliche Geschmäcker und dafür gibt es bei uns auch unterschiedliche RegisseurInnen. Im besten Fall gehen die Leute raus und haben Dinge zu besprechen und zu diskutieren, und im allerbesten Fall fangen sie danach an, etwas anders zu machen.
Genau, wer die Welt erklärt, muss auch Lösungen zeigen. Wäre der schwarze Block eine Lösung?
Da stellt sich natürlich die Frage, was ist der schwarze Block? Jetzt kam heraus, dass in Hamburg zum G20-Gipfel auch eine Menge Nazis dabei waren. Das ist bestimmt keine Lösung. Ich fühle mich nicht qualifiziert, über den schwarzen Block zu sprechen. Aber das Lösungsthema finde ich tatsächlich interessant. Halb zum Spaß, halb ernst habe ich mal auf Facebook gepostet, Theater müsse aufhören Fragen zu stellen, sondern endlich Antworten liefern. Weil ich die Phrase „Ich will vor allem Fragen stellen“ von RegisseurInnen nicht mehr hören konnte. Und auf den Post hin gab es einen Shitstorm. Das war der Hammer. Komplett humorlos. Ich finde schon, dass man Lösungen anbieten kann und dadurch auch Fragen stellt. Das hat für mich auch etwas damit zu tun, wie wir das Haus umstrukturiert haben – also zum Beispiel Männer und Frauen gleich zu bezahlen und gleich stark einzustellen – und noch weiter umstrukturieren wollen, und das hat auch etwas damit zu tun, wie wir Gesellschaft denken oder diskutieren wollen.
Gibt es für die erste Spielzeit ein Statement?
„Glaube, Liebe, Horror – Fun Fun Fun.“
„Schimmelmanns – Verfall einer Gesellschaft“ | R: Florian Fiedler | Fr 22.9.(P), Fr 29.9., Sa 30.9. 19.30 Uhr, So 24.9. 18 Uhr | Theater Oberhausen | www.theater-oberhausen.de
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