„Interventionen - Stadt für alle“ fordern nun auch Initiativen des Ruhrgebiets. Über Lesungen, Vorträge und Diskussionen möchten sie ausloten, wie hier im Ruhrgebiet das „Recht auf Stadt“ in Anspruch genommen werden kann. Die Veranstaltungsreihe einleiten konnte wohl keiner besser als Andrej Holm, Sozialwissenschaftler an der HU zu Berlin, der nicht nur zu Stadterneuerung und Gentrifizierung forscht, sondern auch selbst aktiv „Recht auf Stadt“ fordert.
Am 13.03. führte er im Soziokulturellen Zentrum Bahnhof Langendreer rund 70 Interessierte mit einem wohl strukturierten Vortrag in das Phänomen „Recht auf Stadt“ ein. Zelte auf dem Rothschild Boulevard in Tel Aviv, Proteste in Athen im Zuge der Krisensituation, die Wut der Warschauer gegen die Umsiedlung in Baucontainer, Aktionen in Sulukule (Istanbul) - die Bewegung „Recht auf Stadt“ sei global, so Holm. Zu den Aktionen in Istanbul sei 2008 der Sozialtheoretiker David Harvey eingeladen worden, der das Konzept der Partizipation am städtischen Raum aus den USA nach Europa gebracht habe. Als sich in Hamburg eine „Recht auf Stadt“-Bewegung formierte, lud man wiederum Aktive aus Istanbul ein, die über ihre Erfahrung berichteten. So verbreite sich das Phänomen dominoartig, wobei in jeder Stadt eigene Vorstellungen und Bedürfnisse herrschen. Eine soziale Bewegung mit Stadt zum Thema sei - besonders global gesehen - noch recht jung, wenn sie auch schon bemerkenswerte Ausmaße angenommen habe.
Nach den Theorien von Lefebvre, Kipfer und Schmid stellte Holm die aktuellen Stadtentwicklungstrends Gentrifizierung, Privatisierung, Luxuswohnanlagen vor. „Das Zentrum stößt die peripheren Elemente aus und kondensiert die Reichtümer“, sagte Lefebvre. Heute werde die Stadt immer mehr zum Unternehmer, fährt Holm fort. Waren Städte früher als Teil des Wohlfahrtssaat für die Belange ihrer Bürger zuständig, seien sie nun verwirtschaftlicht und bilanzorientiert. Ärmere Bevölkerungsschichten werden wegen steigernder Mieten, die Folge der Privatisierung, aus dem Zentrum verdrängt, eine Partizipation an den Möglichkeiten der Stadt sei von da an nicht mehr gegeben. Dort setze die „Recht auf Stadt“-Bewegung an. Sie fordere bezahlbare Mieten und damit einen Stopp der Gentrifizierung, protestiere gegen Großbauprojekte und Privatisierung. Dabei schaffe sie aktiv Freiräume, initiiere beispielsweise Hausprojekte, Nachbarschaftsgärten etc. und setze sich für die Differenz in Städten ein, sodass Szenen sich in Freiräumen entwickeln können. Sie gehe gegen die Kürzungspolitik vor, fordere stattdessen eine bessere Infrastruktur für die Partizipation am Stadtzentrum. Zugleich fechte sie auch soziale Kämpfe, Stichwort Hartz IV. Bei den Forderung dieser Bewegung seien nach Marcuse zwei Gruppen zu unterscheiden, die Gruppe mit „demand“ und die Gruppe mit „cry“. Demand bedeute, dass dieser Gruppe das Elementare zum Leben fehle. Cry, dass diese Gruppe Raum zur Verwirklichung benötige, z.B. Skateboardplätze. Die Gruppen kommen aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgangslage und Bedürfnisse zwar nicht zusammen gehören aber zusammen. In Hamburg z.B. bestehe ein breites Netzwerk, kein Bündnis, aus verschiedenen Gruppierungen, in der ihre Differenz als positives Merkmal gepflegt werde. Es sei jedoch wichtig, betonte Holms, die Glaubwürdigung eigener Verkündigungen wahren und Stadt tatsächlich auch selber zu machen. Jeder kann dies tun. Selbst Omas mit Strickkursen, wie in Berlin geschehen.
In der anschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass die Beteiligten von „Interventionen - Stadt für alle“ aus breit aufgestellten Bereichen kommen und eine notwendige Vernetzung bereits begonnen hat. Doch was genau wolle man, war die Frage. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - auch im Ruhrgebiet gibt es Mietprobleme. Vor allem aber werden öffentliche Räume geschlossen, sei es für die Off-Szene, für die eifrige Büchereigängerin oder für die Jugend. Die vielen Leerstände dagegen können nicht sinnvoll genutzt werden. Also wo ansetzen? Kann „Recht auf Stadt“ im Ruhrgebiet überhaupt funktionieren, das viele Städte ist? Oder fühlt man sich nur seiner Stadt zugehörig? Im Kleinen anfangen, oder direkt das System angehen? Diese Fragen mussten erst einmal im Raum stehen bleiben. Doch die nächsten Veranstaltungen bieten sicherlich die Möglichkeit, etwas Gewissheit ins Ungewisse zu tragen.
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