Langsam dreht sich die Bühne gegen den Uhrzeigersinn. Doch die Zeit wird dabei nicht zurückgedreht, ganz im Gegenteil. Die britische Autorin Tamsin Oglesby zeigt eine Dystopie, in der sich die älteren Protagonisten kaum noch zurechtfinden. Regisseur Jens Pesel hat diese Geschichte um Leben und Sterben in der Zukunft ziemlich unaufgeregt am Essener Grillo als deutsche Erstaufführung inszeniert. Kammerspielartig durchlaufen die Spieler die Szenen, in denen es weder Aufregung noch Widerstand zu geben scheint. Das Methusalem-Gen hat sich im futuristischen London durchgesetzt, die beiden Schwestern Lynn (Claudia Amm) und Alice (Ingrid Domann) und ihr Bruder Robbie (Claus Dieter Clausnitzer) versuchen, in einer Gesellschaft zu überleben, in der das Alter alle demografischen Prognosen ad absurdum führt und dafür nun Lösungsmöglichkeiten sucht. Geriatrie wird nur noch geduldet, wenn dafür eine strukturelle Gegenleistung für die Jüngeren erfolgt. Entweder als Pharma-Versuchskaninchen Punkte sammeln oder Kinder und Jugendliche als Adoptivenkel bei sich aufnehmen oder gleich in die „Die Arche”, wo Psychodrogen einen schnellen Tod bei Papageiengeschrei bereithalten.
Pesel arbeitet viel mit demografischen Statistiken, die auf den Vorhang projiziert werden. Anfangs täuschen die Schauspieler einen ziemlich dummen Dialog mit dem Publikum vor, während der Pharmakonzern seine Visionen erklärt. Da fallen dann auch schon mal Vokabeln wie „Euthanasie“ oder „Mord“, es bleibt aber eher unspektakulär, wie die Entwicklung der Geschwister-Figuren auf der Bühne und deren Choreografie. Ein bisschen Sozialkritik scheint zu reichen.
Lynn leidet an Alzheimer, Alice leidet an Schwerhörigkeit, Diabetes und Gelenkverschleiß, Robbie an Realitätsverlust. Die Palliativmedizin hat sich längst aufgelöst, also vegetieren die drei lustig in Lynns Wohnung dahin, eigentlich kein Problem, wenn da nicht dieser gewinnorientierte Konzern wäre, in dem Monroe (Holger Kunkel) sich noch Gedanken über die Alten macht, der Rest aber eigentlich nur noch preiswerte Entsorgungsmöglichkeiten sucht. Dazu ist auch noch der Roboter Mimi (Monika Stahler) entwickelt worden, der gerade die psychologische Betreuung übernehmen soll. Aber alles steuert auf ein Pillenvertauschdrama am Ende hin.
„Richtig alt, so 45“ I Do 3.5., 19 Uhr I Grillo Theater Essen I 0201 812 22 00
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