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Vertreibt „Frustschutz“ in der Adventszeit: Nessi Tausendschön
Foto: Uwe Würzbruger

Scharfe Blicke über den Blattrand

29. November 2012

Mit „Ohne Rolf“, Anny Hartmann, Mathias Tretter und Tina Teubner – Komikzentrum 12/12

Jahresrückblicke und X-mas-Shows schön und gut: Es gibt aber auch noch „normale“ Höhepunkte auf den Bühnen der Region. Zum Beispiel das Gastspiel des Schweizer Duos „Ohne Rolf“. Diese beiden genialen (ja, das sind sie tatsächlich) Künstler haben eine völlig neue Ausdrucksform gefunden: Man unterhält sich – und die Zuschauer – via Plakate. Dass man so ein konzentriertes, die Spannung auf die Spitze treibendes Stück schreiben kann, dessen Höhen und Tiefen die Empathie und den Grips gleichermaßen fordern, beweisen Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg in ihrem ersten Programm „Blattrand“, mit dem sie am 1. Dezember in der Aula des Euregio-Gymnasiums in Bocholt zu Gast sind.

Was den Blick zurück angeht: Genau genommen begnügt sich die rattenscharfe Anny Hartmann nicht mit einem Jahresrückblick, sondern prophezeit schon mal den Weltuntergang. Dass das Abendland im Allgemeinen und die Deutsche Bahn dabei mit im Boot sitzen, dürfte als Glücksfall bewertet werden, sind beide doch dafür berüchtigt, entscheidende Entwicklungen zu verschlafen beziehungsweise mit einiger Verspätung einzutreffen. Hartmann, eine der wenigen jungen politischen Kabarettistinnen hierzulande, legt in „Schwamm drüber“ (am 9. im Bochumer Bahnhof Langendreer) den Lauf durch die vergangenen Monate im Sauseschritt hin, pflückt die sich am Wegesrand befindlichen Aufreger und nimmt sie genüsslich auseinander.

Zu den gewieften Verhackstücklern des politischen Treibens in unserer Bundeshauptstadt (und anderswo) gehört auch Mathias Tretter: 365-mal Tagesschau haben bei ihm Spuren hinterlassen. Frei nach dem Motto „Vergangenheitsbewältigung leicht gemacht“ unternimmt das Ex-Mitglied des „Ersten Deutschen Zwangsensemble“ am 15. auf der Bühne Pepperoni in Bocholt unter dem Titel „Nachgetrettert“ einen sorgfältig recherchierten Streifzug durch die Republik – und hebt dabei so gut gehütete Schätze wie den G8-Punkt von Frau Merkel und fünf von Schäuble übersehene Festplatten.

Bevor das Jahr zu Ende, geht werden eigentlich ganz nette Menschen zu Shopping-Freaks und so manche Frau mutiert zur Deko-Liesel mit Kitschgemüt. Nicht so Nessi Tausendschön: „Frustschutz“, so der Titel ihres Weihnachts-Programm, das sie am 8. in der Stadthalle Mülheim und am 13. im Kulturtreff Glashaus Herten präsentiert, ist alles andere als heimelig. Da kommt zum Beispiel Gabi Pawelka zu Wort, eine hörbar aus dem Osten Deutschlands kommende Frau, die von den positiven Auswirkungen eines Motivation-Seminars auf ihr Selbstbewusstsein zu berichten weiß und im Publikum nach einem Lebensgefährten sucht, dessen Mutter möglichst das Zeitliche gesegnet hat.

Ähnlich unkorrekt und bodenständig ist die grandiose Tina Teubner, die in „Stille Nacht bis es kracht“ (am 2. im Bochumer Bahnhof Langendreer, am 8. in den Essener Katakomben, am 9. in Velbert im Schloss Hardenberg und am 16. im Hagener Hasper Hammer) zeigt, was „Unfug zur Weihnachtszeit“ bedeutet: eine unorthodoxe Mischung aus Liedern, die Ben Süverkrüp am Flügel begleitet, ergänzt von bitterbösen Texten, die die Musikkabarettistin mit satanischem Lächeln unters Volk streut – ein Engel mit Haaren auf den Zähnen statt Flügeln auf dem Rücken. Muss man gesehen und gehört haben, schwört hoch und heilig Ihre stets über Tage lebende

ANNE NÜME

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