trailer: Herr Naujoks, Sie wirken so abgehetzt. Was ist geschehen?
Ingo Naujoks: Mein Auto ist gerade abgeschleppt worden. Aber jetzt habe ich es wieder. Es wurde nur ein paar hundert Meter versetzt.
Sind Sie mit der Parkraumbewirtschaftung in Berlin nicht zufrieden?
Ach, die Städte werden größer. Immer mehr Leute wollen in die Stadt, und die meisten davon fahren Auto. Und Parkplätze sind hier nun mal Mangelware. Die Stadtverwaltung kann die Autos ja nicht abschaffen. Deshalb ist das mit dem Parkraum so eine Sache. Ich reg mich ja auch gern auf. Meist sind ja sowieso die anderen schuld. Aber vielleicht muss ich mich auch an die eigene Nase packen. Hatte mich zwischen zwei Bäume gequetscht. Da kommt ´ne Oma mit ihrem Rollator nicht mehr dran vorbei. Obwohl, mit ein bisschen Augenzwinkern seitens der Ordnungskräfte hätte es jetzt auch nicht so ein Geschrei gegeben.
Sie parken jetzt in Berlin, drehen in München und Hamburg, sind Sie Ihrer Heimat eigentlich noch treu?
Jaaaa. Ich bin 30 Jahre aus Bochum gar nicht rausgekommen. Ich hab da meine erste Freundin gehabt, ich hab da mein Abi gemacht, meine Mami lebt da noch, mein Bruder lebt da noch. Ich bin ja eher Einzelgänger. Die paar Freunde, die ich einmal im Jahr vielleicht anrufe, sind fast alle aus Bochum. Ich mach bei Euch demnächst ja auch ein kleines Konzert. Da freu ich mich riesig drauf. Ich bin aber auch gespannt, was die Kollegen von früher, mit denen ich Punk gemacht habe, jetzt von mir halten. Vielleicht denken die, dass ich doch lau geworden bin.
In Berlin sind Sie brav geworden?
Das hat auch was mit dem Alter zu tun. Berlin ist zwar die Partyvorhölle. Aber ich bin jetzt 50 und auch nicht mehr jeden Tag draußen auf der Piste. Das Leben ist ein bisschen anders geworden als früher, als ich noch die Zeche in Bochum oder die Live-Station in Dortmund hatte.
Jetzt, wo Sie groß sind, sind Sie auch Spießer geworden?
An den Werbespot habe ich auch gerade gedacht. So wie ich parken nur Spießer. Dieser Spot ist schon fast zehn Jahre alt. Der hat mir viel an Popularität gebracht.
Haben Sie diese Art von Typ im Ruhrgebiet gelernt?
Die Art zu reden bestimmt. Wenn ich mir vorstellen würde, ich hätte ´ne schwäbische Freundin, die nur schwäbelt …
Iiih!
Oder eine aus Leipzig …
Iiih!
Der Berliner ist ja ein bisschen so wie der Ruhrgebietler – aber ruppiger. Wir Männer im Ruhrgebiet sind ja eher Klatschweiber. Und noch ´ne Geschichte, und immer größer, und immer breiter. Der Mann aus dem Ruhrgebiet ist so wie Herbert Knebel. Der macht das richtig gut.
Würden Sie gern auch mal wieder einen Ruhrgebietscharakter spielen?
Ich träum da immer wieder von. Der Tatort ist leider gerade wieder an mir vorbeigegangen. Es soll ja jetzt wieder einen Dortmunder Tatort geben.
Und warum gibt es keinen Bochumer Tatort mit Naujoks? Ich bin entsetzt.
Ich bin auch entsetzt. Es gibt wohl so eine Art Fernsehgesetz. Ich bin bei dem Tatort mit der Maria Furtwängler ausgestiegen, weil ich das Windelwechseln und Babysitten satt hatte. Wahrscheinlich geht das dann nicht, den Krimiautoren Martin Felser zu einem Kommissar in Dortmund zu machen.
Nee, nee. Der Ballauf ist auch umgezogen. Der war doch erst in Düsseldorf der Harry, der den Wagen holte, und nun macht er auf dicke Hose in Köln.
Stimmt. Also gut, Sie können ruhig schreiben, dass ich traurig bin. Ich träume davon, so einen abgerockten Bullen zu spielen. Es gibt diesen wundervollen Autor Jörg Juretzka, der hat den Ermittler Christoph Kryszinski geschaffen. So einer wäre gut für mich.
Noch mal zur Musik. Sie waren Punker. Was machen Sie jetzt im hohen Alter?
Das Stück „Apocalypso“ handelt davon, dass der Teufel, der mit Hörnchen, Schwefeldampf, gespaltenem Huf und Dreizack auftritt, aber eher eine Art Frank Sinatra für Arme ist, sich seit Milliarden von Jahren um das Weltgeschehen kümmert und schon Jesus Christus gekreuzigt und Kant am Bart gezupft hat, nun ein Burnout hat. Er erkennt, dass es ihm zwar gelungen ist, dass an allen Ecken und Kanten die Scheiße brennt, aber dass er jetzt, am Ziel angelangt, keine Aufgabe mehr hat.
Und damit kommen Sie jetzt nach Bochum?
Sicher, ich freue mich riesig. Ich werde dann auch zu Hause bei Mama schlafen.
Wenn wir das veröffentlichen, werden Ihnen die Kamerateams auflauern.
Das hoffe ich doch sehr.
Wo ist Ihr Herz denn musikalisch verankert?
Beim frühen Tom Waits. Und bei all den Schattengewächsen, diesen Grenzgängern zwischen Schwarz und Weiß. Solche Menschen interessieren mich literarisch, schauspielerisch und musikalisch. Immer ein wenig melancholisch. Immer ´ne Träne im Auge. Trotz alledem nicht depressiv.
Sie haben viele Kinderfilme gedreht und sind selbst Vater. Ist die Vaterrolle wichtig für Sie?
Ich habe ja zu Hause eine Patchwork-Familie. Meine Tochter ist fünf Jahre alt, an ihr ist meine Frau ja genetisch beteiligt. Dann gibt es noch die Tochter meiner Exfrau, die bei uns noch ein Zimmer hat. Jonny ist der Sohn des Exmannes meiner Frau. Bei uns ist immer was los.
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