trailer: Frau Höhn, Sie sind gar kein Ruhrgebietsgewächs?
Bärbel Höhn: Ja, das stimmt. Aber das ist doch typisch für das Ruhrgebiet. Ich fühle mich hier sehr wohl, weil viele Menschen ja ursprünglich nicht von hier stammen und man deshalb offen aufgenommen wird. Ich komme ursprünglich aus Schleswig-Holstein, bin 1978 nach Oberhausen-Osterfeld gezogen.
Zu der Zeit sah es hier aber noch anders aus?
Allerdings! Wir sind ja mit unseren beiden Söhnen hierhin gekommen. Wir wohnten in einer Bergarbeitersiedlung. Die Kokerei war noch in Betrieb. Mein Jüngster hatte dann erhebliche Atemprobleme, wurde sehr krank.
So sind Sie dann zu den Grünen gekommen?
Nein, ich war davor schon politisch sozialisiert. Der Vietnamkrieg hat uns viel beschäftigt, auch der Abbau der Demokratie an der Hochschule. Mit dem Thema Atomkraft habe ich mich intensiv auseinandergesetzt. Aber in Norddeutschland hatte ich keine politischen Ämter. Im Ruhrgebiet habe ich dann bei einer Elterninitiative mitgearbeitet. Wir haben uns für Verbesserungen im Kindergarten eingesetzt. So habe ich festgestellt, dass durch die hohe Luftverschmutzung viele andere Kinder die gleichen gesundheitlichen Probleme hatten wie mein Sohn. Wir haben uns dann erfolgreich gegen eine geplante Giftmüllverbrennungsanlage gewehrt.
Das Ruhrgebiet war damals ja eher keine grüne Hochburg.
Natürlich hatten es die Grünen hier schwer. Die Übermacht der Sozialdemokratie hat mir damals schon zu denken gegeben. Die waren sehr arrogant gegenüber den Bürgerinitiativen. Ich wollte zunächst gar nicht Parteimitglied werden, engagierte mich bei der Bunten Liste, habe dann aber für die Grünen für den Landtag kandidiert und bin dann auch grünes Mitglied geworden.
Und auf einmal saßen Sie mit Sozis am Kabinettstisch.
Die SPD steht ja vom Programm her oft sehr nah bei den Grünen, aber im Ruhrgebiet war die Sozialdemokratie schon sehr lange am Ruder. Deshalb gab es Verfilzungen. Als ich Ministerin war, hat mich ein Mitarbeiter schriftlich um eine Beförderung gebeten. In dem Brief hat er wohl eine Formulierung vergessen zu streichen, die er schon bei dem Schreiben an meinen sozialdemokratischen Vorgänger Klaus Matthiesen verwendet hatte: „Ich bin Mitglied der Partei“. Er hat noch nicht einmal den Namen SPD genannt. Das fand ich sehr typisch. In vielen Positionen hat sich die SPD im Ruhrgebiet kaum von der CDU unterschieden. Aber Unterschiede gab es bei der Haltung zu rechtsradikalen Gruppen. Wir sind gemeinsam mit Sozialdemokraten gegen rechts auf die Straße gegangen.
Was war Johannes Rau für ein Mensch?
Er war kein typischer Sozialdemokrat, eher sensibler und nachdenklicher. Von seiner Art her war er den Grünen näher. Das hat er selbst so aber gar nicht empfunden, hat gesagt, wir leben auf zwei verschiedenen Planeten. Für ihn war der Verlust der absoluten Mehrheit zunächst ein Schock. Später hat er die Zusammenarbeit mit uns souverän gemeistert.
Mit seinen beiden Nachfolgern hatten Sie es schwerer?
Rau war ja nicht nur gütiger Landesvater, sonst wäre er gar nicht in die Position gekommen. Er hatte seine Beißer und Wolfgang Clement war einer davon. Als Wirtschafts-, Energie- und Verkehrsminister war Clement immer mein Gegenpart. Mit ihm hatte ich es besonders schwer.
Und schon damals gab es einen Peer Steinbrück.
Steinbrück war wie Clement Seiteneinsteiger. Rau war Vollblutpolitiker, seine Nachfolger nicht. Die haben wenig Rücksicht auf ihre Partei genommen. Häufig waren die Grünen dem Programm der SPD näher als deren Ministerpräsidenten. Steinbrück wollte damals die Grünen loswerden und mit der FDP zusammengehen. Mit diesem Vorhaben ist er gescheitert. Danach konnten wir aber auch mit Steinbrück ganz vernünftig Politik machen.
Ihr Ministerkollege von den Grünen hat Ihnen das Leben auch nicht leichter gemacht.
Mit Michael Vesper war es schwierig. Er suchte den Anschluss an die SPD, ohne sich mit uns Grünen rückzukoppeln. Ich war dann immer das „Bad Girl“, hab’ immer die Harmonie gestört. Mit Michael Vesper konnten die Sozialdemokraten gut ein Bier trinken gehen und Bärbel Höhn musste dann immer daran erinnern, dass es auch noch grüne Positionen gibt.
Wie sieht Ihr Leben nun aus, halb in Berlin, halb im Revier?
Ich habe eine Wohnung in Berlin, bin über die Sitzungswochen hinaus auch oft dort. Ansonsten bin ich auch viel in NRW unterwegs, sodass ich aufpassen muss, dass das Privatleben nicht zu kurz kommt.
Was ist denn schöner, Berlin oder das Ruhrgebiet?
Beides ist schön. Ich mag die Kombination. Im Ruhrgebiet gehe ich gern zu meinem Bioladen um die Ecke. Ich kenne die Leute. 35 Jahre schaffen eine große Verbundenheit. Wir haben einen großen Garten. Unsere Kinder und Enkelkinder wohnen hier in der Nähe. Berlin heißt Arbeit, und zwar von 7 Uhr bis 23 Uhr. Aber ich habe mit meinem Mann schon mehrfach in Berlin Urlaub gemacht.
Freuen Sie sich über die Wiederwahl der Landesregierung?
Ja, sehr. Hannelore Kraft kenne ich noch aus dem Kabinett als Wissenschaftsministerin. Mit ihr konnte ich immer gut. Wahrscheinlich hat sie auch unter ihren männlichen Kollegen gelitten. Ich finde, sie macht das jetzt sehr gut. Auch Sylvia Löhrmann macht das sehr gut. Für mich war es nach zehn Jahren wichtig, die Ebene zu wechseln und den vielen guten Leuten aus der zweiten Reihe bei den Grünen in NRW Platz zu machen. Natürlich gibt es auch jetzt noch Konflikte in der rot-grünen Koalition. Aber die Kontrahenten lassen sich gegenseitig Luft. Es war ja bei unserer Zankkoalition damals gar nicht gewollt, ein gemeinsames Projekt voranzutreiben.
Welche Zukunftspläne haben Sie?
Ich werde noch einmal für den Bundestag kandidieren. Nach der kommenden Legislaturperiode werde ich 65 Jahre alt sein. Das ist dann ja das Rentenalter. Solange aber werde ich mich mit ganzer Kraft für die Energiewende einsetzen.
Als Ministerin unter einem Bundeskanzler Peer Steinbrück?
Ich kümmere mich hauptsächlich um Energie- und Klimapolitik und werde da meinen Platz auch in den kommenden Jahren finden, wo auch immer
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
„Was im Ruhrgebiet passiert, steht im globalen Zusammenhang“
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken über den Strukturwandel – Über Tage 03/24
„Einer muss ja in Oberhausen das Licht ausmachen“
Fußballfunktionär Hajo Sommers über Missstände im Ruhrgebiet – Über Tage 02/24
„Mir sind die Schattenseiten deutlicher aufgefallen“
Nora Bossongüber ihre Tätigkeit als Metropolenschreiberin Ruhr – Über Tage 01/24
„Hip-Hop hat im Ruhrgebiet eine höhere Erreichbarkeit als Theater“
Zekai Fenerci von Pottporus über Urbane Kultur in der Region – Über Tage 12/23
„Das Ruhrgebiet erscheint mir wie ein Brennglas der deutschen Verhältnisse“
Regisseur Benjamin Reding über das Ruhrgebiet als Drehort – Über Tage 11/23
„Kaum jemand kann vom Schreiben leben“
Iuditha Balint vom Fritz-Hüser-Institut über die Literatur der Arbeitswelt – Über Tage 10/23
„Es hat mich umgehauen, so etwas Exotisches im Ruhrgebiet zu sehen“
Fotograf Henning Christoph über Erfahrungen, die seine Arbeit geprägt haben – Über Tage 09/23
„Man könnte es Stadtpsychologie nennen“
Alexander Estis ist für sechs Monate Stadtschreiber von Dortmund – Über Tage 08/23
„Für Start-ups sind die Chancen in Essen größer als in Berlin“
Unternehmer Reinhard Wiesemann über wirtschaftliche Chancen im Ruhrgebiet – Über Tage 06/23
„Radikale Therapien für die Innenstädte“
Christa Reicher über die mögliche Zukunft des Ruhrgebiets – Über Tage 05/23
„Das Ruhrgebiet wird nie eine Einheit werden“
Isolde Parussel über Hoesch und den Strukturwandel – Über Tage 04/23
„Gemessen am Osten verlief der Strukturwandel hier sanft“
Ingo Schulze über seine Erfahrungen als Metropolenschreiber Ruhr – Über Tage 02/23
„Im Fußball fanden die Menschen den Halt“
Ben Redelings über die Bedeutung des Ballsports im Ruhrgebiet – Über Tage 01/23
„Typen wie wir verewigen einen Ruhrpott-Charme“
Gerrit Starczewski über seinen Film „Glanz, Gesocks & Gloria“ – Über Tage 12/22
„Dieser Arbeitskampf bestimmte unser Leben“
Brigitte Sonnenthal-Walbersdorf über den Streik der Hoesch-Frauen – Über Tage 11/22
„Die Transformation liegt hier in der Luft“
Sofia Mellino über ihren Film „Future Ruhr“ – Über Tage 10/22
„Die junge Generation macht hier einfach ihr Ding“
Sandra Da Vina über die Kreativbranche im Ruhrgebiet – Über Tage 09/22
„Wir Ruhrgebietsmenschen sind kleine Gallier“
Hennes Bender über seine Asterix-Bände und den Charme des Potts – Über Tage 08/22
„Zeit, sich diverser zu präsentieren“
Rapper Schlakks über Potentiale und Kolonialismus im öffentlichen Raum – Über Tage 07/22
„Ruhrgebiet hatte immer etwas Mythisches“
Metropolenschreiber Ruhr Ariel Magnus über fremden Blick auf die Region – Über Tage 12/20
„Über Generationen immer weitergegeben“
Autor Christoph Biermann über die identitätsstiftende Bedeutung von Schalke – Über Tage 11/20
„Hauptsache, Kunst erreicht die Herzen“
Musikerin Anke Johannsen über Kreativität und Haltung im Ruhrgebiet – Über Tage 10/20
„Sozialer und politischer Sprengstoff“
Soziologe Andreas Reckwitz über gesellschaftliche Dynamik in Metropolen – Über Tage 09/20
„Jetzt sollten wir den Sprung wagen“
Politikwissenschaftler Claus Leggewie über Multikulturalität im Ruhrgebiet – Über Tage 08/20