Was den Markt zum Wohle und Reichtum aller steuert, ist eine gespenstische Erscheinung: eine unsichtbare Hand, wie Adam Smith in seinem berühmt gewordenen Buch „Der Wohlstand der Nationen“ bereits Ende des 18. Jahrhunderts formulierte. Diese unsichtbare Hand lenkt, schaltet und waltet heute zunehmend unkontrollierter, ungezügelter, hemmungsloser. Und sie macht sich den Spaß, Marionetten ins Feld zu führen, Narren der Ökonomie, die in einem zügellosen Kasperletheater der Macht ihre Spekulationsgeschäfte entfachen, Unternehmen zugrunderichten, Arbeitsplätze verbrennen und Menschen über Bord gehen lassen. Ulrich Greb inszeniert seine Textfassung nach Adam Smith.
trailer: Herr Greb, ist die wohltätige, unsichtbare Hand irgendwann gestorben?
Ulrich Greb: Die ist verschwunden – bei uns. Die unsichtbare Hand äußert sich zwar ab und zu, aber in den entscheidenden Momenten und wenn der Wahnsinn der heutigen Hände, die da am Werk sind, immer mehr um sich greift, zieht sich die unsichtbare Hand von Adam Smith zurück und ist auf einmal weg.
Was haben Sie in Moers eigentlich gegen das Geldverdienen?
Gegen das Geldverdienen haben wir nichts. Ich habe eher etwas gegen das Abschaffen des Theaters aus Finanzgründen. Wir sind ja dem Tod im letzten Jahr soeben von der Schüppe gesprungen. Deshalb haben wir zwangsläufig unsere jetzige Spielzeit unter das Motto „Schöne Aussichten“ gestellt, um uns hauptsächlich mit den Fragen zu beschäftigen, wie kann man existieren. Letztlich sind das auch Anlagetipps, die wir mit unseren Stücken machen.
Sind nur die Banken schuld oder ein klein wenig auch die gierigen Anleger?
Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr hat man den Eindruck, dass der Fehler im System liegt. Das ist eine strukturelle Geschichte. In den 1990er Jahren gab es eine erste Bankenkrise, daraufhin ist ein Abkommen in Basel getroffen worden. Das sollte eine höhere Eigenkapitaldecke für die Banken einfordern. Das hat aber nur dazu geführt, dass die weitere, neue Gesellschaften, sogenannte special investment vehicles gegründet haben, die sie dann verstärkt auf exotischen Inseln platziert haben. Das heißt, Kontrolle entfacht neue, und für mich halb kriminelle Fantasie, um diese zu umgehen. Danach ist es noch schlimmer geworden. Aber das als ein menschliches Phänomen zu betrachten, wir seien halt gierig, und wir versuchten, unseren Vorteil über Geiz ist geil, von der Schnäppchenmentalität bis zu den Milliardengewinnen und Millionen-Boni zu suchen, das alles würde ich nicht über einen Kamm scheren. Ein Fehler liegt darin, dass sich eine Finanzindustrie einfach von den Produkten, die eine Wirtschaft herstellt, und die von einer Gesellschaft benötigt werden, zu weit entfernt hat, und im Grunde nur noch behauptet, alles diene der Gewinnmaximierung. Dann ist da was verkehrt.
In der Handlung taucht ein gewisser Josef Ackermann auf, wo und wann könnte der überhaupt auf einen armen Menschen treffen, der ihn um Geld bittet?
Das ist das Paradox dieses Zitats von Josef Ackermann. Er sagt, er könnte immer noch an keinem armen Menschen vorbeigehen, der um Geld bittet, aber er stellt sich selbst nicht die Frage, wann er jemals aus seinem Dienstfahrzeug aussteigt und diese Situation eintreffen wird. Für uns war das ein wunderbares Zitat, so wie in dem Stück „Die unsichtbare Hand“ ja zu 90 Prozent Originaltöne vorkommen. Also das Schlimmste oder das Unverständlichste, das Wahnsinnigste haben wir nicht erfunden, das ist alles aus Äußerungen, aus Pressemitteilungen, teilweise aus Statements vor Untersuchungsausschüssen. Quasi aus der gesamten Finanzwelt genommen und addiert und auch gegen andere Texte gesetzt, wie von dem Ökonomen Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert. Das Zitat von Ackermann ist ein unfreiwilliger Beweis dafür, wie weit sich die Finanzwelt vom wirklichen Leben entfernt hat.
Warum sind die harmlos aussehenden Abkürzungen beim expressiven Sex im Stück genauso kompliziert wie die beim Derivathandel?
In beiden Fällen handelt es sich um Spezialsprache. Ich glaube, die Abkürzungen in der Sexsprache sind nicht sofort allen Menschen vertraut, aber wenn man sie dann in voller Länge hört, sind sie doch weitestgehend noch für viele nachvollziehbar. Das ist im Derivathandel nicht mehr der Fall. Und von Bankern wird selbst eingeräumt, dass sie diese Begriffe nicht mehr verstehen, dass sie zum Teil die Produkte nicht mehr verstehen. Das liegt daran, dass es Bündel von Bündeln sind, weil es Scheibchen von Scheibchen sind, die mit Hilfe mathematischer Formeln immer wieder neu verpackt werden. Teilweise erinnert das an Hütchenspiele. Die Produkte werden verschoben, mit dem einzigen Zweck, die Herkunft zu verschleiern. So dass man nie weiß, ob es Garantien für diese Produkte gibt oder nicht. Aber natürlich hängt da ein Markt dran, der naiv oder gierig einfach nur Gewinne machen will und damit vorsätzlich Blasen produziert, die immer wieder platzen. Man hat ja den Eindruck, die eine Blase platzt und die nächste bläst sich gerade schon wieder auf. Also meine pessimistische Einschätzung im Moment ist, dass durch diese große Finanzkrise, ausgelöst am 15. September 2008, wirklich jemand was gelernt hätte.
Kann man aus diesen Originalzitaten, die so dadaistisch daherkommen, überhaupt eine fortlaufende Handlung konstruieren?
Eine Handlung im üblichen Sinne nicht, weil es keine Charaktere im üblichen Sinne gibt. Was wir an dem Abend aber sehen, sind Figuren, die investieren. Die mit großer Intensität etwas produzieren, und diese Euphorie des Profitmachens führt dann zu Crashsituationen. Die werden bei uns durch Erdbeben dargestellt. Erdbeben, die alle Figuren völlig durcheinanderrütteln. Aber nach dem Erdbeben fängt wieder was an. Wir bilden also im Grunde die Zyklen der Börse nach und haben gut zweieinhalb Zyklen in diesem Stück. Nachdem unsere Figuren auf das erste Erdbeben noch relativ schockiert reagieren und ihre Pappkartons, ihre Utensilien packen, weil sie entlassen wurden, wird das zweite Erdbeben eigentlich schon fast wie eine Party gefeiert. Letztlich kann ja doch nichts passieren, weil ja der Staat und die Bürger am Ende für die Verluste aufkommen. Und die dritte Krise, die stattfindet, die driftet noch weiter ab. Das will ich aber hier noch nicht vorwegnehmen.
„Die unsichtbare Hand“ I Do 10.2., 19.30 Uhr (Uraufführung) I Theaterhalle Moers I 02841 883 41 10
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