Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die Laubkronen, wild wuchern Farne und Gestrüpp im Unterholz. Es ist herrlich warm an diesem Spätsommertag und die Luft riecht nach frischem Laub. Ein schöner Waldspaziergang, könnte man meinen, wenn... ja, wenn es nicht der Hambacher Wald wäre.
Kein anderes Naturgebiet ist gerade so präsent in den Medien wie dieser über 12.000 Jahre alte Wald zwischen Köln und Aachen. Und das, obwohl die Materie eigentlich nicht neu ist. Denn bereits seit sechs Jahren kämpfen AktivistInnen für den Erhalt des „Hambis“, der einem Kohleabbaugebiet für RWE weichen soll. Aber jetzt geht es in den Endspurt. Die letzten Tage der Räumung stehen bevor – im Oktober soll mit den Rodungsarbeiten begonnen werden.
Und der Wald hat sich zum Krisengebiet entwickelt. Schon auf der Fahrt ins sonst eher beschauliche Buir nahe Kerpen fallen die unzähligen Polizeiwagen auf, an der Kreuzung in den Waldweg hat sich die sogenannte „Mahnwache“ fest etabliert. Sie gilt als Anlaufstelle für alle AktivistInnen und BesucherInnen. Hier wird Essen für die WaldbewohnerInnen entgegengenommen, es wird musiziert und sich ausgetauscht. Hippie-Atmosphäre. Wer den Zugang in den Wald hinein nimmt, wird am Waldesrand gestoppt. Räumungsarbeiten. Gefahrenzone – und deswegen kein Einlass. Jetzt befinden sich nur noch die BewohnerInnen der Baumhäuser dort, die Polizei und gerade dieser Tage eine Menge Presse.
Maarten Rabaey und sein Kollege sind extra aus Brüssel angereist, um über den Protest zu berichten. „Auch in Belgien gibt es zurzeit viel Diskussion über Energie und Klimaschutz“, berichtet Rabaey. „Vor allem in den Städten ist die Luft so verschmutzt, dass viele Kinder schon jetzt Atemprobleme haben.“ In Belgien interessiere man sich sehr für die Geschehnisse in der Umgebung. „NRW ist immer eine Region mit Schwerindustrie gewesen. Und Emissionen machen an der Grenze nicht halt. Der Wind trägt alles hinüber.“ Der Journalist betont die globalen Ausmaße der Angelegenheit. „Auch so lokale Aktionen sind stets Reaktion auf weltweite Probleme.“ Er beschreibt den Protest als Ausübung der Demokratie: „Es geht ja nicht nur darum, an Wahlen teilzunehmen, sondern auch seiner Stimme Gehör zu verschaffen.“
So wie der Stimme von Yeti. Der Aktivist lebt mit Unterbrechung seit gut einem Jahr in dem Wald. Er skizziert den Klimax, der sich nun anbahnt: „Klar, dass die Akkus zwischendurch einfach leer gehen. Aber dieses Räumungsszenario ist schon eine große Belastung.“ Vor allem psychisch. Einsatzfahrzeuge sind omnipräsent. Die Räumung ist in vollem Gange. Yeti betritt den Boden nur noch, wenn es nötig ist, behält die Polizei permanent im Auge. „Wir sind mittlerweile echt von der Außenwelt abgeschnitten. Auch der ganze Support in der Umgebung, Leute, die uns unterstützen, da können wir nicht mehr hin.“ Zu riskant der Ausflug, jetzt, wo der Eingang dicht ist. „Aber man hört die wildesten Geschichten wie Leute in den Wald kommen“, beschreibt Yeti die Neuankömmlinge.
„Natürlich ist die Lage frustrierend. Aber es ist toll zu sehen, wie immer noch Leute in die Bäume klettern und sich für den Wald einsetzen.“ Vor allem der große Ansturm am letzten Sonntag sei ein unglaubliches Empowerment gewesen, so der junge Naturschützer. „Da kam eine Masse an Menschen, ganz zivile Leute mit Kindern an der Hand und hat uns als Helden bejubelt. Dabei waren das unsere Helden.“ Yeti lebt in einem der letzten bestehenden Camps, „Kleingartenverein“ genannt. Die jetzigen Tage sind ein Wechselbad der Gefühle. „Man kommt sich so ohnmächtig vor, wenn man hört, dass die anderen Dörfer, an denen man teilweise selbst mitgearbeitet hat, plattgemacht werden. Ich weiß ja, wie viel Arbeit so ein Baumhaus ist, welche emotionale Bindung da drin hängt. Du hast alles mit deinen eigenen Händen erschaffen.“ Aber nicht nur Bau- und Klettertechnik bestimmen den Alltag der letzten WaldbesetzerInnen. „Wir diskutieren viel, besonders über Feminismus und Rassismus, und hinterfragen dementsprechend auch unsere Sozialisierung.“
Surreal erscheint die Szenerie. Debattierende Freigeister in den Wipfeln, an manchen Stellen komplette Stille, an anderer Stelle wiederum Absperrband, zerstörte Baumhäuser, von der Polizei abgeführte BewohnerInenn. Man merkt, dass es sich zuspitzt. „Manche Kollegen arbeiten schon den achten oder neunten Tag“ erzählt ein Polizist an der Eingangssperre. „Der Einsatz schlaucht echt extrem.“ Ein Einsatz, der an den Nerven zerrt, aufstachelt, aber auch zum Dialog anregt.
Und zwar zum weltweiten. Wenn Brüssels „De Morgen“ und auch die „New York Times“ über den Hambacher Forst berichten, wird deutlich: Der Protest betrifft nicht nur ein paar WaldfreundInnen. Er hinterfragt auch Deutschlands Rolle beim Klimaschutz. „Egal, was passiert: Es war auf jeden Fall nicht umsonst“, resümiert Yeti. „Die Aktion hat Menschen in Bewegung gebracht. Und das ist nicht das letzte Gebiet, das für den Braunkohle-Abbau weichen soll. Wir machen weiter.“
Nach dem tödlichen Sturz eines Filmstudenten der KHM sind die Räumungsarbeiten vorerst gestoppt worden. Der junge Videoblogger hatte an einer Langzeitdoku gearbeitet. Auf seinem Twitter-Account @vergissmeynnicht berichtete er, dass die eingeschränkte Pressefreiheit am Boden ihn so hoch in die Bäume getrieben hätte. Nach seinem Tod folgt Trauer und die Frage, welche Opfer noch gebracht werden müssen für einen Energieträger ohne Zukunft.
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