Eröffnet wurde sie immerhin vom ehemaligen Chef der Art Cologne, Gérard Goodrow. Kein Wunder, immerhin sind acht international arbeitende Künstler zu sehen, die Kurator Gerd Weggel nach Gladbeck geholt hat, die Hälfte davon kommt aus den Niederlanden. Die kleinformatige Arbeit der Amerikanerin Cindy Sherman dient eher als Referenz an die inszenierte Kunst ohne PC-Bearbeitung. Jasper de Beijer forscht für seine undurchsichtigen Werke im niederländischen Spaarnestad Photo-Bildarchiv mit seinen 14 Millionen Fotos. Auch sein Landsmann Ruud van Empel formt aus vielen verschiedenen Fotos künstliche Landschafts-Collagen. Eine spannende Ausstellung, die aber auch Fragen erzeugt.
trailer: Herr Weggel, inszenierte Fotografie aus dem Computer – muss man da besser PC-Freak sein als Fotograf?
Gerd Weggel: Als Kurator bin ich kein Fotograf, abgesehen von den aufgeschnapptenBildern, die man so macht, wenn man auf Reisen ist. Ich bin erst recht kein PC-Freak und natürlich auch kein Künstler. Insofern bin ich da raus. Offen gestanden weiß ich es auch gar nicht, denn ich komme vom Resultat, nicht vom Prozess. In erster Linie sehe ich diese Bilder wie der Besucher und spüre eine Besonderheit (oder meine es zumindest), was Tiefe und Ernsthaftigkeit angeht‒ aber auch die Melancholie, die Aggression, die Botschaft oder was auch immer. Das spricht mich an. Es ist schön, wenn man den Entstehungsprozess erklären kann, letzten Endes ist er aber nicht ausschlaggebend.
Die Arbeiten sind also Fotografie, weil ihre digitalen Daten so ausgedruckt wurden?
Das ist richtig.
Das hätte also genauso gut auch auf Leinwand passieren können?
Das hätte auf Leinwand passieren können, ja.
Also sind es im Prinzip endlos herstellbare Druckgrafiken?
Ich denke, das ist so. Das ist sicher auch eine Krux, ich reduziere das jetzt mal auf Fotografie im Bereich der digitalen Bildkunst. Damit muss man lernen umzugehen. Was ist der Wert eines Rilke-Gedichts, wenn es dann gedruckt ist? Das ist eine Besonderheit von Fotografie heute – gesehen als Medium, als Gattung. Wenn man das so sagen darf, dann sind das falsche Begriffe in der Bildenden Kunst. Das ist ein Problem.
Welche Auflagenhöhe haben die Arbeiten denn hier?
Bei drei fängt es an, das ist das Minimum, der untere Bereich. Und bei Cindy Sherman zum Beispiel, da haben Bilder aus der hier gezeigten AIDS-Serie vom Ende der 1980er Jahre eine Auflage von 75 Stück.
Für welche Position innerhalb der Fotografie stehen diese Künstler?
Die sind ganz unterschiedlich. Izima Kaoru und Cindy Sherman sind Vertreter der ‒ in Anführungsstrichen ‒ klassisch inszenierten Fotografie. Dazu muss auch gesagt werden, dass der Japaner Izima Kaoru das Bindeglied zu einer Ausstellung darstellt, die vor sechs Jahren hier gelaufen ist. „Haben wir den Ozean verloren?“ hieß diese Schau damals. Das ist der eine Schwerpunkt, der andere sind die Künstler, die für ihre Werke mit der digitalen Bildbearbeitung arbeiten. Eigentlich eine zweigleisige Ausrichtung, die wir hier sehen, der Schwerpunkt der Ausstellung liegt aber auf der digitalen Bearbeitung.
Und gibt es da im Einzelnen auch Unterschiede?
Es gibt Unterschiede, aber Sie dürfen mich nicht nach den technischen Unterschieden fragen. Ich glaube, es erklärt sich aber auch durch die jeweiligen Werkgruppen, die gezeigt werden. Selbst beim Werk von Erwin Olaf sind ganz unterschiedliche Werkgruppen zu sehen. Wir haben ja aus der Serie „Rain und Hope“ Bilder ausgesucht, die sehr interieurhaft gestaltet wurden, es gibt aber auch ganz andere von Olaf, wo der Mensch ins Zentrum gerückt ist. Die ausgestellten Bilder zeigen mehr dieses Scheitern der amerikanischen Träume in Räumen, die mich doch sehr stark an Edward Hopper erinnern. Diese Schnittstelle zur Malerei ist auch eine Art Klammer. Das zeigt sich auch bei den Arbeiten vonRuud van Empel und seinen gesampleten Bildern. Dort soll ja deutlich werden, dass sie gesamplet sind. Mich erinnern sie zum Beispiel sehr stark an die frühen Arbeiten von Henri Rousseau. Es sind einige unterschiedliche Positionen, die hier zu sehen sind.
Und wie kommt man als Kurator zu gerade dieser Auswahl?
Da gibt es mehrere Antworten. Einmal war mir wichtig, eine Verbindung zu der von mir eben schon angesprochenen Ausstellung „Haben wir den Ozean verloren?“ herzustellen mit dem Bindeglied Izima Kaoru. Ihn wollte ich gerne noch um eine weitere, aktuelle und wichtige Position ergänzen, da kommt man dann schnell auf den Namen Cindy Sherman, obwohl die ja nur mit einer Arbeit hier vertreten ist. Das war eine Setzung. Dann habe ich mich von Bildern leiten lassen. Ich habe mehrere Arbeiten von Ruud van Empel gesehen, aber auch von Carla Gannis, und bin dann mit den entsprechenden Galeristen in Verbindung getreten. Über den Dialog mit denen und anderen Personen, die schwerpunktmäßig mit diesen Künstlerinnen und Künstlern arbeiten, sind andere Namen wie Desiree Dolron dazu gekommen. Ich muss fairerweise sagen: Ich hatte sie erst mal nicht auf meiner Rechnung, das hat sich im Auswahlprozess tatsächlich so ergeben, wie auch die Gesamtzahl der Künstler. Aber auch die Arbeiten der Tschechin Tereza Vlckova haben mich interessiert, ich hatte einige Fotos gesehen und dann gelesen, dass es in München bei einer Ausstellung unter dem Stichwort Pornografie einen Riesenskandal gegeben haben soll. Daraufhin habe ich mir die Arbeiten näher angeschaut, allerdings sind andere Fotos ausgewählt worden. Insgesamt ist es also ein prozesshafter Weg gewesen, um zu dieser Auswahl zu kommen. Es hätten natürlich auch andere Künstler sein können – das steht völlig außer Frage.
Das sind jetzt „junge“ Positionen, noch keine Gregory Crewdsons oder Rodney Grahams?
Sagen wir mal: Es sind „halbjunge“, obwohl das eine schräge Formulierung ist. Es sind jüngere Positionen, das denke ich schon. Gregory Crewdsonfinde ich auch großartig, das hätte ich mir auch gut vorstellen können. Ich würde allerdings nicht sagen, dass das die nächste Generation ist, die sozusagen heranwächst. So weit würde ich nicht gehen, aber es sind schon eher die jüngeren Positionen, die Mitte der 1960er geborenen Künstlerinnen und Künstler, die hier zu sehen sind.
„Won Ocean“ | bis 11.1. | Neue Galerie im Rathauspark, Gladbeck | 02043 3 19 83 71
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