Der Verlust an Kultur ist traurig. „25 Sad Songs“ heißt deshalb die Revue, die Thomas Krupa und Ari Benjamin Meyers am Essener Grillo in Szene gesetzt haben. Und der Begriff trifft die Inszenierung genau. Zwei Stunden lang fordert die Titelauswahl aus rund einem Jahrhundert Musikgeschichte die Zuschauer. Lache Bajazzo (Ruggero Leoncavallo 1892), erfreue dich am Verlust, die ersten älteren Semester gingen bei „Once in a Lifetime“ (1981) von den Talking Heads, so ist das bei der Silberhaarfraktion. Alles ist sterblich und die Zeit wird knapp, auch fürs Theater.
Dabei sollen sich doch alle im Jahr 2525 befinden, irgendwie sind alle digitalen Datenträger vernichtet, bei Recherchearbeiten der inzwischen unsterblichen Menschheit wurde aber noch ein ipod gefunden, mit dem sich genau diese Revue rekonstruieren lässt. Die Geschichte, obwohl installativ mit Vitrinen im Theater untermauert, bleibt sehr dünn und trägt nur ein paar Minuten.
Zu Beginn erscheint ein Greis im Anzug, schleppt sich auf die Bühne, startet den Rechner und erzählt von seiner Großmutter. Er ist der letzte Sterbliche, erzählt den staunenden Cyborgs von Liebe und Sex, Hass und Gewalt. Und dennoch: „Aber die meiste Zeit geschah nichts, wie in einem französischen Film." Kryoniker mögen das mögen, aber sicher sind 14 Jahre Evolution da zu wenig. Immerhin haben Zager und Evans ihren One-Hit-Wonder „In the Year 2525“ bereits 1969 aufgenommen. Jetzt endlich verstehen viele auch den englischen Text, die meisten Songs werden übersetzt auf die Videowand geworfen. Die Interpretationen mit Musikern unter der Leitung von Stephan Kanyar und dem Ensemble sind überzeugend. Ganz groß: „Seven Nation Army“ von den White Stripes. Die Musik findet in den Kopfhörern der Schauspieler statt, die dann nur den eingängigen Riff und ein paar Wortfetzen intonieren. Aber auch Soli wie „Nothing Compares 2U“ gefallen.
Am Ende verebbt die gut gemeinte Zeitkritik in ein bisschen Mitmachtheater, bei „Rape Me“ (1993) von Nirvana zieht man Ragna Guderian die männliche Greisenmaske vom Gesicht, viel Raum für philosophische Fiktionen also. „Maybe it´s only yesterday“
„25 Sad Songs“
R: Thomas Krupa, Ari Benjamin Meyers
Grillo-Theater Essen
Mi 13.4., Sa 30.4., je 19.30 Uhr
0201 812 22 00
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