Der Dramatiker Tennessee Williams (1911-1983) ist ein Meister in der Darstellung unausgesprochener Spannungen. In seinem Melodram „Endstation Sehnsucht“, das 1947 uraufgeführt wurde, schiebt sich Blanche DuBois, die Fremde, die Besucherin, die Schwester, wie ein Vampir, der seine Umwelt aussaugt, immer mehr ins Zentrum des Geschehens. Schritt für Schritt enthüllt sich dabei aber auch die wahre Geschichte ihrer Vergangenheit. Und vor allem: ihr wahres Wesen. Auch in der Regie des Oberhausener Intendanten Peter Carp wird sich dies enthüllen. trailer sprach mit ihm über seine Inszenierung
trailer: Herr Carp, braucht das aktuelle Theater ein 62 Jahre altes Melodram in drei Akten?
Peter Carp: Ja. Weil jedes Theater immer gute Theaterstücke braucht. „Endstation Sehnsucht“ ist eines der ganz großen Stücke des letzten Jahrhunderts, und Tennessee Williams ist ein großer Autor, eigentlich ein ganz großer amerikanischer Dramatiker. Das braucht das Theater, und das will man immer gerne sehen, und die Schauspieler wollen das immer wieder gerne spielen.
Was wird besonders (neu) sein an Ihrer Inszenierung von „Endstation Sehnsucht“?
Das Stück spielt im Original in New Orleans. Dorthin kommt eine Frau aus den Südstaaten, die eine Plantage verloren hat, zu ihrer Schwester, die dort in sehr einfachen Verhältnissen lebt. Sie kriecht dort unter. Bei uns spielt es nicht in den Südstaaten und nicht in New Orleans, sondern es spielt im Ruhrgebiet. Es kommt eine Dame, wir wissen nicht genau woher, vielleicht aus der französischen Schweiz. Sie hat dort ein Landhaus, den Familienbesitz, verspielt, verhökert, verloren und muss jetzt bei ihrer Schwester im Ruhrgebiet unterkriechen.
Gibt es in Oberhausen einen Marlon Brando als Kowalski, oder braucht man den hier nicht?
Ich glaube, diesen Stanley Kowalski, den Marlon Brando in der Verfilmung von „Endstation Sehnsucht“ gespielt hat, den muss man immer wieder neu erfinden und den muss man sich neu suchen. Die Interpretation von Marlon Brando, der den Kowalski sehr überzeugend gespielt hat, war nur eine Variante. Es gibt auch viele andere Stanley Kowalskis, und in Oberhausen ist Björn Gabriel der Kowalski.
Wie wichtig sind die Schauspieler bei Tennessee Williams überhaupt?
Extrem wichtig. Es ist ein Schauspielerstück. Es ist ein großes Seelen- und Psychodrama. Ein sehr psychologisches Stück, und das wird hauptsächlich von den Schauspielern getragen. Das ist auch das Tolle an Tennessee Williams, dass er so direkt und intensiv für Schauspieler schreibt, ähnlich wie Tschechow, so dass die Arbeit für Schauspieler eine Superaufgabe und eine Freude ist. Und wer sich für Menschen interessiert und wer Menschen sehen will, der muss sich dieses Stück ansehen.
Wer sucht aus: der Intendant, der das Stück inszenieren will, oder der Wille, mit einem bekannten Stück ein volles Haus zu haben?
Das muss sich berühren. Wir würden sicher kein Stück nehmen, das wir nicht machen wollen, bei dem wir aber denken, das wird vom Publikum gerne gesehen. Es muss jemand von uns oder ein Gastregisseur gerne machen wollen. Sonst kann das auch nicht gut werden. Andersherum würden wir zurückschrecken, wenn wir sagen, wir wollen dieses oder jenes Stück machen, denken, aber dass es dafür in Oberhausen kein Publikum gibt. Dann würde man dieser Produktion auch keinen Gefallen tun. Das ist immer eine Gratwanderung, aber die Interessen müssen sich berühren. In dieser Spielzeit machen wir Tennessee Williams natürlich auch, weil es Abiturstoff ist. Das ist eben auch ein Grund. Wenn man „Endstation Sehnsucht“ gut besetzen kann, dann kann man das auch machen. Wir erhoffen uns natürlich auch, dass die Schulklassen aus Oberhausen und Umgebung kommen.
Wird Ihre Inszenierung wieder Musiktheater, das in ihrer Zeit hier ja Tradition hat?
Das ist kein Musiktheater, aber es ist ein Klangtheater. Ich arbeite mit einer interessanten Konstellation. Es gibt einerseits den Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer, der einen sehr realistischen, ja fast hyperrealistischen Raum gebaut hat. Und es gibt einen Klangkünstler Jan Peter Sonntag, mit dem ich schon öfter gearbeitet habe. Der kommt von der Bildenden Kunst und macht Klanginstallationen. Der wird einen akustischen Raum um den Bühnenraum herumbauen, und dieser Raum ist der Sound des Ruhrgebiets. Es wird viel Klang gegen, es wird auch Musik geben – aber es wird nicht gesungen.
Ist das Theater Oberhausen immer noch Ihr Belle Rêve (Schöner Traum)?
Es ist nicht mein Belle Rêve und war es auch nie, denn es ist nicht verloren.
Wie sieht die Zukunft aus?
Ich hoffe positiv. Im Moment wissen wir noch nichts. Es herrscht der Status Quo wegen des Wahlkampfs. Wie die ökonomische Situation wirklich aussieht, werden wir dann im Herbst sehen und spüren und uns auf einige Kämpfe einstellen müssen.
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