Ein König, der Krieg braucht, um seine Macht zu sichern. Ein Gefolgsmann, der versucht, Blutlust im Volk zu entfachen. Eine Kirche, die aus eigenen Interessen zur Macht hält. Und politische Gegner, die zwar wenig gegen Krieg haben – aber viel gegen die Clique an der Spitze. „Karl Stuart“ von Marieluise Fleißer ist Königsdrama und Politthriller zugleich. Sie ist als Autorin von „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ berühmt geworden, an „Karl Stuart“ arbeitete sie während des Zweiten Weltkriegs. Das Stück wurde nie aufgeführt. trailer sprach mit dem jungen Regisseur Philipp Preuss über die Uraufführung in Dortmund.
trailer: Herr Preuss, es gibt nicht so viel Informationen über das Stück. Worum geht es?
Philipp Preuss: Es geht um das Leben und Sterben von König Karl Stuart. Er ist einer der Stuarts, der vor der ersten Demokratisierung durch Oliver Cromwell geköpft worden ist. Weil er dem Parlament seine Rechte nicht zugebilligt hat. Dazu hat er sogar seinen Freund und Mitstrategen, den Earl of Strafford, opfern müssen. Historisch belegt hat er ganz England in den Bürgerkrieg gezogen, hat die Macht völlig an Cromwell verloren, ist dann enthauptet worden, und das rund 100 Jahre vor der Französischen Revolution.
Es geht um Krieg und Machenschaften der Herrschenden. Das ist ein zeitloses Thema. Warum wurde das Stück nie aufgeführt?
Keine Ahnung. Es mag mit der Zeit zusammenhängen, in der es geschrieben worden ist. Marieluise Fleißer war damals im Krieg in der inneren Emigration, saß in diesem Kaff in Ingolstadt, wo sie völlig in sich zurückgezogen lebte. Sie hat nicht emigrieren können wie Bertolt Brecht, dafür hatte sie wie er nicht die Kohle. Nach 1945 war es sicher schwer, so ein Königsdrama zu machen. Ist es heute immer noch. Wer von den jungen Autoren macht schon ein Königsdrama? Viele haben dann an den Theatern gesagt: Nee, wir wollen lieber die alte Fleißer, sie war ja so ein Gspusi vom Brecht und hat die Stücke „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ gemacht. Deshalb hat man sie dann wiederentdeckt, und das waren natürlich wieder Männer wie Stein, Fassbinder und Kroetz.
Was ist das Besondere an der Schriftstellerin Marieluise Fleißer?
Ihre Poesie und ihr Wille nach Freiheit, glaube ich, und dass sie in keine Schublade passt. Das finde ich eigentlich am spannendsten. Man kann das Stück auch kritisch unter der damaligen Zeit betrachten. Natürlich hat sie unter Zensur geschrieben und sich dabei in eine Art Freiheit hineingeschrieben, wie auch seinerzeit Heiner Müller. In der Inszenierung verwenden wir deshalb auch einen Text von ihm. Es ist für die Rezeption immer wichtig, in welcher Zeit der Autor lebt und hineinschreibt, und wenn man ins Leere schreibt wie Fleißer damals und wie eben Heiner Müller nach der Wende, wo seine Feinde weggefallen sind und so, was ist denn da noch der Ansatz zum Schreiben? Bei der Fleißer ist das so, dass sie für sich nach einer Wahrheit gesucht hat, ohne große Verbündete. Ganz individuell ist sie erst nach Berlin gewandert, dann wieder zurück nach Ingolstadt, hat immer ausprobiert, nach einer künstlerischen Wahrheit gesucht, nach einem Ausdruck zum Herzen, zum Empfinden.
Ist das was Außergewöhnliches, wenn man ein Stück zum ersten Mal auf die Bühne bringt?
Ja, sicher. Wir gehen beispielsweise nicht vom Ansatz einer literarischen Uraufführung aus, wie bei einem neuen Autor. Hier muss man den Kontext mitdenken und immer die Zeit, in der es entstanden ist. Dann ist da auch der Faktor der Werktreue. Wo spielt denn nun das Stück? Im 17. Jahrhundert in England, in den bundesdeutschen 1970ern oder 2009 in Dortmund? Man kann da nicht so einfach rangehen und sagen, so müsste das Stück im Original aussehen. Dass alle das Stück so oft abgelehnt haben und warum das passiert ist, auch das finde ich ein interessantes Thema. Wollte man nur eine bestimmte Fleißer, trotz ihres Riesenwerkes, obwohl sie von „Karl Stuart“ einmal sagte, es sei eines ihrer Wichtigsten? Aber es wohl nicht ins Klischee über sie hineingepasst hat.
Zeit ist überhaupt ein wichtiges Thema. Wie man sich erinnert, wie überhaupt Geschichte abgehandelt wird. Im Fernsehen oder bei diesen Jubiläen wie 60 Jahre Bundesrepublik. Wie soll man Geschichte darstellen, wie soll das überhaupt gehen, ändert sie sich überhaupt? Alles ist doch nur noch ein Historical, Geschichte wird jetzt ein Themenpark. Dazu die vielen Menschen, die noch was zu erzählen haben, aber die jetzt wegsterben. So sieht man alles nur noch in Schwarzweiß, in so einem diffusen Bildgedächtnis. Unser Bühnenbild besteht deshalb nur aus Videobändern, aus Speicherplatz eben.
Viele Menschen wissen auch heute um die Machenschaften der Herrschenden, warum passiert eigentlich nichts dagegen?
Wenn wir das wüssten, warum nichts passiert. Es gibt natürlich eine Ohnmacht gegenüber der Macht. Vielleicht ist die Macht auch unsichtbar, weil sie sich nicht zu erkennen gibt. Ich glaube, es gibt ziemlich viele Strategien, damit diese Machtfragen erst gar nicht gestellt werden. Das ist auch interessant im Stück, für das wir viel Foucault gelesen haben. Wie Fleißer das mit den Figuren gemacht hat. Da gibt es die Kirche, das Militär, die Wirtschaft. Alle sind in so einer Art von Klüngel, das System bedingt sich quasi selbst. Darin macht man Verabredungen. Die müssen gar nicht groß abgesprochen werden, es passiert einfach so, es wird einfach gemacht. Und das Komische ist, das ist heute immer noch so. Es gibt so etwas wie ein mediales Subprimat, wo immer Politik die Religion ist und umgekehrt. Die Live-Übertragungen von Ratzinger in Afrika etwa, warum zeigt man uns das, warum soll ich das im Fernsehen sehen? Warum gibt es eine mediale Hoheit darüber, dass ständig über die Kirche berichtet wird? Da merkt man, dass es eine Grundstruktur von Macht gibt.
Kann Theater in der Gesellschaft noch etwas bewirken?
An dem Abend jeweils schon, und wenn die Leute rausgehen, vielleicht für fünf Minuten danach. Also ich hoffe natürlich, dass man etwas bewirkt. Es ist natürlich der Ansatz, dass man immer wieder gegen die Strukturen anrennt. Es ist eine Sisyphos-Arbeit, aber die kann ja auch viel Spaß machen. Und wenn jemand zum Denken kommt und etwas ändern will dadurch, dann ist das super. Aber natürlich ist man auch skeptisch, jeder kann halt auch nur einen netten Abend verbringen. Es bleibt eben die Frage, ob überhaupt noch etwas verändert werden kann.
Es herrscht Wirtschaftskrise. Hat die Kultur abgewirtschaftet?
Kultur ist wie die Medien eher ein Krisengewinner. Kultur hat nicht abgewirtschaftet. Es sind schon seltsame Strukturen, durch die es zu so einer Krise kommt, oder wie sie einfach hochgeschrieben wird. Doch wer in der sozialen Krise tatsächlich steckt, das wird ja nicht so thematisiert. Kunst arbeitet oder malt oder inszeniert immer gegen solche Verhältnisse oder versucht wenigstens, die Ursachen offen zu legen. Kultur gewinnt in der Krise bis zur nächsten Krise, die die alte wieder ablöst.
Gibt es in 10 Jahren noch genauso viele Theater wie heute?
Vielleicht gibt es dann nur noch Cineplex-Theater. Das werden ja immer mehr. Selbst der Daimler-Konzern ist eine große Bühne geworden – durch Rimini Protokoll während der Hauptversammlung in Berlin.
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