Vor 70 Jahren fand der Zweite Weltkrieg nach Jahren des Blutvergießens ein Ende. Deutschland und der Welt sollte die Kriegszeit eine Lehre sein: nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Und doch beobachten wir aktuell Terror und Bürgerkriege. Die Lage zwischen den NATO-Mitgliedsstaaten und der Atommacht Russland spitzt sich immer weiter zu, es wird zunehmend auf die militärische Durchsetzung der eigenen Interessen gebaut. Das Netzwerk Friedenskooperative nimmt die aktuelle Situation zum Anlass, die überregionalen Ostermärsche im Zeichen des Friedens und der Abschaffung von Atomwaffen abzuhalten.
„Kriege stoppen – Atomwaffen ächten“ lautet das Motto der Ostermärsche. Die Demonstranten fordern unter anderem den Abbau von Atomwaffen, den Stopp von Rüstungsexporten und die Abschaffung militärischer Forschung an Hochschulen sowie der Anwerbung junger Schulabgänger durch Karriereberater der Bundeswehr. Am Ostersonntag nahmen rund 300 Personen an einer Fahrradtour von Essen nach Bochum teil. Um 9 Uhr morgens versammelten sich die Radfahrer auf dem Essener Willy Brandt-Platz. Über Gelsenkirchen, Herne und Wattenscheid ging es dann nach Bochum. Den Ostermarsch begleiteten Kundgebungen zum Thema Frieden sowie eine Kranzniederlegung zum Gedenken der Kriegsopfer. Nach einer gut achtstündigen Tour versammelten sich die Teilnehmer im Bahnhof Langendreer, wo der Publizist Werner Rügemer über TTIP und dessen Zusammenhang mit einem drohenden Krieg referierte.
Rügemer, der sich selbst als „interventionistischer Philosoph“ bezeichnet, gehört zum wissenschaftlichen Beirat von attac und ist Lehrbeauftragter der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln. Seit einigen Jahren klärt er über das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA auf und setzt sich aktiv für die Verwerfung des Abkommens ein. Bei seinem Vortrag konzentrierte sich Rügemer auf die machtpolitischen und militärischen Hintergründe von TTIP und ähnlichen Abkommen.
„Es geht um nichts Geringeres als um Weltherrschaft.“ So fasste Rügemer die Idee hinter TTIP zusammen. Seit den Anfängen des Freihandelsabkommens im 19. Jahrhundert gehe es in erster Linie um Geopolitik, also um die Ermöglichung des Zugriffs auf Territorien außerhalb des eigenen Herrschaftsgebiestes. Das Konzept hat seinen Ursprung in Großbritannien. Niedrigere Zölle für in das Land importierte Rohstoffe, die Weiterverarbeitung vergünstigen. Gleichzeitig wurden auch weniger entwickelte Staaten wie Indien aufgefordert, ihre Zölle zu senken, damit die britischen Produkte auf einfachem Wege den ausländischen Markt erreichen würden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte diese Struktur geändert werden und ein neues Freihandelsabkommen die Gleichberechtigung der teilnehmenden Staaten garantieren. Ein überarbeitetes Abkommen verhinderten jedoch die USA und stellten das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT auf die Beine, welches nach den Vorstellungen der Vereinigten Staaten funktionierte. Diese Organisation schloss jene Nationen aus, die mit dem US-System nicht kompatibel waren, darunter kommunistische Staaten wie China und die Sowjetunion. Die Teilnahme wurde nur den Nationen gewährt, welche die Forderungen eines kapitalistischen Staates nach US-amerikanischen Vorstellungen erfüllten.
Bei TTIP verhalte es sich ähnlich, so Rügemer. Es gehe um die Durchsetzung des westlichen Kapitalismus als weltweiter Maßstab. Diese Pläne richten sich gegen Volkswirtschaften wie China und Russland, erklärte Rügemer. Es entstehe nicht bloß eine Konkurrenzsituation, sondern eine Feindschaft. Und hier komme TTIP in Berührung mit militärischen Vorstellungen. Denn ihre Interessen würden die Verhandlungspartner notfalls auch militärisch durchsetzen. TTIP „zielt auf die Schwächung demokratischer, an nationaler Selbstbestimmung orientierter Regierungen“, so Rügemer. Im Mittelpunkt des westlichen Freihandels stünden die USA als Anführer, der den Mitgliedsstaaten, darunter auch die Bundesrepublik, lediglich „relative Privilegien“ zuspreche.
Werner Rügemer betonte jedoch auch Positivbeispiele, die demonstrieren, dass Freihandel auch ohne Militär und Benachteiligung funktionieren kann. Hier erwähnte er die Mitgliedsstaaten des BRICS- und ALBA-Bündnisses, zu denen beispielsweise Brasilien, China und Indien zählen. Diese orientieren sich an Handelsverträgen ohne politische Bedingungen und militärische Machtkämpfe. Bei den Abkommen gehe es um Leistungsaustausch, nicht um die Finanzialisierung des Handels. Zudem haben Schiedsgerichte beim ALBA-Bündnis keine Bedeutung. Die auf Exklusivität bedachte und konfrontative Ukraine-Politik der EU gegenüber Russland nähert sich mit jedem weiteren Schritt der Eskalation. Für Rügemer ist eines klar: Welches der beiden Konzepte, der westliche Freihandel oder das System der BRICS-Nationen, sich letztendlich durchsetzt, werde seiner Meinung nach über die Zukunft der Menschheit entscheiden.
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