„Nach mir die Sintflut“ (Regie: Sibylle Broll-Pape) heißt eine aktuelle Produktion des Prinz Regent Theaters in Bochum. Die freie Bühne, die sich früher mit Uraufführungen junger Autoren einen Namen machen konnte, musste dieses Privileg längst an die Stadttheater abgeben. Knappe Fördermittel und geringe Wertschätzung seitens der Politik nagten an der Substanz. Doch auch nach einer Sintflut würde das kleine renommierte Theater so einfach nicht mehr aus dem Schlamm wieder auftauchen, den die göttliche Fügung veranlasst hat. trailer sprach mit Sibylle Broll-Pape, der Theaterchefin, die meist auch Regie führt.
trailer: Frau Broll-Pape, wie geht es dem Prinz Regent Theater?
Sibylle Broll-Pape: Dem Theater geht es gut.Toi, toi, toi.Es geht besser als noch vor einigen Jahren gedacht. Rein finanziell haben wir harte Zeiten hinter uns, aber weil in den letzten Jahren der Publikumszuspruch sehr viel höher war, haben wir das überlebt.
Die nächste Premiere ist Schillers Kabale und Liebe. Kann man diese Geschichte im 21. Jahrhundert noch mögen?
Ja, unbedingt. Auch ich habe zuerst gedacht, das sei eines der schwächsten Dramen von Schiller, doch nur solange, bis ich angefangen habe, mich damit für die Inszenierung zu beschäftigen. Natürlich glaube ich auch, dass eine reine Geschichte der Standesunterschiede heute völlig uninteressant ist. Als ich mich aber länger damit beschäftigte, fiel mir auf, dass es in dem Stück überhaupt nicht darum geht. Die zentrale Frage des Stücks ist die nach dem Absolutheitsgedanken der Liebe – und das ist etwas, das geht durch alle Jahrhunderte. Der ist uns heute so nah, wie er damals Schiller nah war. In dem Moment, wo ich das erkannt habe, habe ich erst mal mein ganzes Konzept über den Haufen geworfen und das Stück fing an, mich richtig zu interessieren. Und ich kenne kaum jemanden, der so unglaublich gute Sätze dazu sagen kann wie Schiller. Schillers Sprache ist eben immer noch ein Hammer. Er sah damals so klar, was falsch laufen kann bei so verführerisch schönen Gedanken wie eben die an die absolute Liebe. Ich glaube, dass uns das heute sehr interessiert, und Schüler insbesondere auch.
Dieses heroische Ende – kann man das jungen Menschen noch vermitteln?
Das ist ja nicht heroisch. Das ist ja ganz furchtbar. Die Liebe zerstört sich selbst. Das ist ein tragisches Ende in jeder Hinsicht. Und diesen ganzen Vergebungsschluss, den gibt es bei mir nicht. Vergeben wird da am Ende gar nichts. Ich glaube auch nicht, dass das wirklich Schiller war.
Die Wahl des Stückes ist auch abhängig vom aktuellen Abiturstoff?
Na klar. Auch. Aber es ist schon so, dass ich ein großer Schillerfan bin. Ich wollte eigentlich „Die Räuber“ machen, die will ich schon immer mal machen. Dann habe ich mir angeschaut, was das Bochumer Schauspielhaus diese Spielzeit macht und festgestellt, dass sie das jetzt auch spielen. Da fand ich es schon sinnvoll, lieber mit „Kabale und Liebe“ in den aktuellen Lehrplan einzusteigen. Denn wir haben auf der einen Seite Nachfragen von Schulen bekommen, weil wir diese Stücke passend zum Abiturstoff jetzt häufiger gebracht haben und das Bochumer Schauspielhaus es nicht tut. Das ist mir recht, muss ich sagen. Auf der anderen Seite merken wir, dass wir so auch sehr viele Schüler ins Theater ziehen, die Theater bei uns mal anders kennenlernen und das dann gut und interessant finden. Das ist auch nicht unwichtig. Erstens kriegen sie die Stücke so angeboten, dass die sie heute noch interessieren, und zweitens nimmt ihnen das eine Schwellenangst vor dem Theater. Wir zeigen ja keine hehren, alten Geschichten. Wir bekommen ein wahnsinnig gutes Feedback von den Schülern und schaffen es sogar, dass hier und da ein Schüler zu einem anderen Stück wiederkommt. Das ist natürlich ideal.
Wie hoch ist denn der Anteil derer, die dann tatsächlich wiederkommen?
Es sind zwar nur einige, aber das muss ja auch unorganisiert passieren. Manchmal denke ich, da könnten Lehrer ein bisschen eingreifen – aber gut, das ist offensichtlich nicht deren Ding. Und einige kommen tatsächlich alleine wieder.
Der Bochumer Kulturdezernent Townsend will jetzt die freie Szene fördern. Hat er jedenfalls auf der ersten Kulturkonferenz Ruhr in Essen gesagt.
Ich weiß nicht, was er damit meint. Im Augenblick ist es so, dass Kürzungen erst einmal zurückgenommen worden sind. Wenn das schon fördern ist, dann tut er das. Aber ich denke, er meint eher, dass man vielleicht doch darüber nachdenkt, uns allen mehr Geld zu geben oder vielleicht bessere Räumlichkeiten zu beschaffen. Aber darüber wurde mit mir bisher noch nicht gesprochen.
Aber der Umzug in die Bochumer Mitte hat sich zerschlagen?
Ja. Es sieht nicht so aus, als gäbe es dort noch viel Platz. Und solange das Konzerthaus noch nicht steht, sehe ich nicht wirklich eine Chance für uns, was anderes zu bekommen. Was ich zwar schade finde, aber so ist es nun mal.
Ist denn eine Zusammenarbeit mit anderen freien Bühnen vorstellbar?
Nein, eigentlich nicht. „Die“ freie Szene gibt es ja sowieso nicht. Aber es gibt eine gewisse Tendenz innerhalb der frei arbeitenden Theater. Das ist das, was ich immer als „globalisierten Inszenierungszirkus“ bezeichne. Das klingt negativer, als ich es meine. Man hat eben große Produktionshäuser, die gut ausgestattete Produktionen machen, und die dann rumgeschickt werden nach Berlin, Hamburg, Zürich oder Düsseldorf. Das ist für sich sicher eine tolle Sache, aber das hat mit dem, was wir machen, nichts zu tun. Da würden wir gar nicht reinpassen. Die haben eine andere Ästhetik und andere Vorstellungen von Inhalten. Wir machen ja sehr literarisch ausgerichtetes Theater und das ist in diesem Zirkel nicht angesagt.
„Kabale und Liebe“ (Premiere) I Do 15.11. 20 Uhr I Prinz Regent Theater Bochum I 0234 77 11 17
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