„Die Welt wird sich ökologisch ernähren oder gar nicht“. Selten hat ein Zitat – wie hier vom geläuterten Bio-Bauer Felix zu Löwenstein – eine der großen Zukunftsfragen pointierter in die Diskussion gebracht. Es geht vorrangig nicht um Geschmack und Gesundheit, sondern um Strategien, wie unser täglich Food so erzeugt werden kann, dass Böden und Tiere nicht langfristig kollabieren. Ökologisch vertretbar und nachhaltig eben. Aber klappt das auch in Ballungsregionen wie dem Rhein-Ruhrgebiet?
Schauplatz Witten, Trantenrother Hof. Gut 500 Meter weiter nördlich donnern die Autos auf der A44 vorbei, nur doppelt so weit ist es nach Westen zur A43. Bio-Höfe stellt man sich irgendwie in anderer Umgebung vor. Bert Schulze-Poll betrachtet dies als Denkfehler: „Wir leben hier in einer Region, die genauso belastet ist wie der Schwarzwald. Der Unterschied besteht darin, dass ich kein weiteres Gift hinzufüge.“
In diesem Frühjahr, das der Winter so elend lang vor sich herschob, ist auf den Feldern rund um den Hof noch nicht viel passiert. Dafür grünt es im unbeheizten Folien-Gewächshaus kräftig. Feldsalat sprießt aus den Löchern der schwarzen Vlies-Bahnen, die den Boden bedecken und das lästige Unkraut hemmen. In einigen Wochen wird er im Hofladen die Kisten füllen, zudem viermal wöchentlich auf Bochums Wochenmärkten angeboten. Zusammen mit Kohl, Porree und Zucchini. „Wir können mit Supermärkten preislich nicht konkurrieren“, sagt Schulze-Poll, „auch haben die konventionellen Landwirte ein Drittel mehr Ertrag als wir. Unsere Stärke ist halt die Kompetenz. Und jeder Skandal schwemmt uns neue Kunden in die Arme.“
Freilich gibt sich der Kunde nicht zufrieden mit dem, was der Wittener Hof so erzeugt. Selbst vom Gemüse stammen nur 30 Prozent aus der Region – der Rest wird über zuverlässige Großhändler hinzugekauft. Die Kollegen vom Kornkammer-Haus Holte etwa gelten als die Biokartoffel-Lieferanten fürs gesamte Ruhrgebiet. Das Bio-Obst dagegen stammt in dieser Jahreszeit aus fernen Ländern. Orangen aus Spanien und Kuba, die Birnen aus Argentinien. Schulze-Poll erlaubt sich auf dem Wochenmarkt eine spezielle Aufklärung. Die Tafel mit dem Herkunftshinweis sagt „12.000 Kilometer“. Der Kunde soll reflektieren, welche Wege nötig sind, um ihm den jahreszeit-unüblichen Genuss zu bieten.
Markt-Überblick kann man Michael Radau sicherlich attestieren. Der Mann hat als Pionier die SuperBioMarkt-Kette aufgebaut und es bisher auf 19 Vollsortiments-Läden gebracht – so in Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Wuppertal. „Wenn ich jemanden habe, der in der Region Zwiebeln, Möhren, Kartoffeln in der nötigen Qualität anbietet, nehme ich das selbstverständlich“, sagt der Münsteraner. Die Backwaren in seinen Läden seien fast zu 100 Prozent regionalen Ursprunges, die überprüften Bio-Eier ebenso und selbst Käse stamme aus NRW-Käsereien: „OK, aber das sind 30 von 200 Sorten.“ Beim Obst könne der Chile-Apfel trotzdem die bessere Wahl sein, denn deutsche Ernten per Sauerstoffentzug und Kühlhaus bis zum nächsten Juni verfügbar zu halten, koste immense Energie.
Mit ökologischen Grundnahrungsmitteln wird sich NRW noch lange nicht selbst versorgen können. Radau registriert ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in NRW in Erzeugung und Konsum ökologischer Lebensmittel: NRW habe sich „positiv entwickelt, aber noch reichlich Luft nach oben“. Derselben Meinung ist das Umweltministerium, das die Umstellung auf Bio-Landbau zu beflügeln sucht. Ende 2010 zählte man rund 1.800 solcher Betriebe – ein Anteil von fünf Prozent. Jährlich kommen, gefördert durch Prämien und Zuschüsse zu den Kontrollkosten, zwischen 50 und 150 Betriebe hinzu. Aber das Verfahren gestaltet sich schleppend. „Entweder sind es Freaks aus der Stadt, die einen Hof umstellen, oder es passiert beim Generationswechsel in der Landwirte-Familie“, hat Bert Schulze-Poll beobachtet, der sich seit 1999 dem Öko-Landbau verschrieb. Immerhin sind die alten Feinbilder verdorrt. „Früher haben die Öko-Lehrlinge den Bauern, der mit der Spritze herumfährt, noch mit Steinen beworfen.“ Heute leiht man sich gegenseitig die Maschinen zur besseren Nutzung aus.
Übrigens hat auch die Annahme „Öko-Landwirt = Vegetarier“ nie gestimmt. Auf dem Trantenrother Hof gackern 280 Hühner, laufen ein paar Puten und acht Schweine herum, mit Bio-Getreide gepäppelt. Noch deutlicher wird dies beim Hattinger Viehwirt Jürgen Haugrund. Der hatte schon früher das Grünland extensiv ohne Kunstdünger bearbeitet, stellte seinen Betrieb nach der BSE-Krise auf Bio-Fleischerzeugung um. Seit 2000 tummeln sich jedes Jahr 60 „Charolais“-Rasserinder auf der Öko-Weide, die einjährig in der Region geschlachtet werden. Hafer, Erbsen und Ackerbohnen als Zusatzfutter stammen aus eigenem, geschlossenem biologischen Kreislauf. Das Fleisch wird in 15-Kilo-Paketen an Stammkunden vermarktet – ausschließlich im Winterhalbjahr, damit man keine aufwändige Kühlung unterhalten muss.
„In Hattingen sind wir die Exoten und werden immer noch ein bisschen belächelt“ schmunzelt Haugrund. „Aber wir bleiben dabei – aus Überzeugung.“ Es ist auch der Grund, weshalb der Mann sein Bio-Fleisch im Zweifelsfall eher selbst auf den Teller legt, als es zu verkaufen: „Ich weiß ja, wo es herkommt.“
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