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„Es geht um Authentizität. Wir dürfen kein Disneyland sein.“
Foto: Francis Lauenau

„Zollverein – ein modernes Versailles“

02. November 2010

Jolanta Nölle über den Stellenwert der Zeche Zollverein im Kulturhauptstadtjahr - Über Tage 11/10

trailer: Frau Nölle, Sie arbeiten beim Wappentier der Kulturhauptstadt?
Jolanta Nölle: Wappentier? Den Vergleich kannte ich bislang noch nicht. Flaggschiff, Leuchtturm oder Kathedrale der Industriekultur sind die häufig genannten Synonyme für das Welterbe Zollverein.

Wenn RUHR.2010 ein Wappen führen würde, wäre doch der Förderturm von Zollverein darauf zu sehen?
Das Fördergerüst von Zollverein Schacht XII ist nicht zuletzt durch die Bewerbung der RUHR.2010 ein Symbol der Region geworden. Das ist erfreulich. Auch haben wir in diesem Jahr einen großen Zuwachs an Besuchern verzeichnen können: Eine Million kamen bis zum 30. Juni, so viele wie im gesamten Vorjahr. Ingesamt rechnen wir im Moment mit zwei Millionen Gästen bis zum Ende des Jahres.

Worin liegt der Reiz von Zollverein?
Der Reiz liegt einerseits in der Schlichtheit und anderseits in der Vielfalt. Als die Schachtanlage Zollverein XII im Jahr 1932 in Betrieb genommen wurde, bezeichnete man sie als die schönste Zeche der Welt. Die von Fritz Schupp und Martin Kremmer entworfene Industrieanlage brachte Funktion und Form in Einklang. Die Anlage war ästhetisch anspruchsvoll und wurde in ihrer schlichten, neusachlichen Formensprache in jener Zeit als avantgardistisch wahrgenommen. Dieses Gesamtkunstwerk wertete die UNESCO als so wichtig und einzigartig, dass sie diese Anlage im Jahr 2001 zum Welterbe
erklärte.

Was macht Zollverein zum Welterbe?
Zum einen geht es bei diesem Titel um die universelle Bedeutung. Zollverein steht für eine Epoche, die Veränderungen mit sich brachte – im Ruhrgebiet wie auf der ganzen Welt. Bergbau und Schwerindustrie haben überall Spuren hinterlassen. Auf unserem Besucherparkplatz stehen Autos aus den Benelux-Ländern, aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Polen. Aber auch Besuchergruppen und Delegationen aus Russland, China und Japan kommen nach Zollverein. Wir sind für Ferntouristen ein wichtiges Ziel. Um einen Kontinent zu verstehen, muss man aus allen Epochen Denkmale erhalten, und Zollverein erzählt sehr plastisch von der Zeit der Schwerindustrie. Zum zweiten geht es um Authentizität. Wir dürfen kein Disneyland sein. Natürlich muss an der einen oder anderen Stelle Bausubstanz ersetzt werden. Insgesamt ist die Anlage aber in ihrer Substanz so erhalten, wie die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer sie konzipierten. Sie können alte und hinzugefügte Elemente an der Farbe unterscheiden. Die Stahlrahmen in der Originalarchitektur sind in dem typischen Zollverein-Rot gestrichen. Ergänzende Anbauten sind zum Beispiel grau.

Ihre Rolltreppe ist grau?
Die Treppenstufen sind orangefarben. Man kann durchaus erkennen, dass sie neu ist. Aber sie fügt sich ins Bild, nicht zuletzt, weil sie in ihrer Form den Bandbrücken ähnelt.

So viel Ärger mit der Moderne wie die Kulturstätten in Dresden und Köln haben Sie nicht?
Genau, ein weiteres Kriterium der UNESCO ist die Beziehung zum räumlichen Umfeld. Wir passen uns architektonisch wie sozial gut in die umgebenden Stadtteile ein.

Haben die, die auf Zollverein arbeiteten, etwas von ihrem Erbe?
Inzwischen arbeiten wieder 1.000 Menschen auf den ehemaligen Zollverein-Schachtanlagen. Das ist doch nicht schlecht? Natürlich sind das nicht alles Leute, die vor 1986 und 1993 hier arbeiteten. Für die Führungen auf der Zeche und Kokerei sind zum Teil ehemalige Bergleute und Koker im Einsatz.

Wie unterscheiden sich die Welterben Kölner Dom und Zollverein?
Ich möchte den Blick lieber auf das Verbindende richten. Wir haben mit der Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner überlegt, welches Projekt wir gemeinsam anstoßen können. Dabei fiel von einem Beteiligten der Satz: „Kölner Dom und Zollverein werden nicht fertig. Das verbindet uns.“ Beides sind Denkmale, die fortlaufend saniert werden müssen. Kölner Dom wie Zeche und Kokerei Zollverein sind Symbole für die Regionen Rheinland beziehungsweise das Ruhrgebiet. Und das Trennende? Der Kölner Dom hat zurzeit noch mehr Besucher als wir. Aber er ist ja auch ein bisschen älter.

Der Dom repräsentiert die Macht der Kirche. Was repräsentiert Zollverein?
Die Architektur von Zollverein ist – bei aller Schlichtheit – auch sehr groß dimensioniert und beeindruckend. Der Innenhof mit seiner großen Rasenfläche erinnert an ein modernes Versailles. Die historische Hauptzufahrt war nur hohem Besuch vorbehalten. Die Bergleute durften auf dem vorderen Teil des Geländes nicht so frei rumlaufen, wie wir das jetzt machen. Nach der Stilllegung der Zeche wurde Zollverein für die Bevölkerung geöffnet. Das ist vielleicht die größte Gemeinsamkeit von Kölner Dom und Zollverein: Jeder Besucher ist willkommen. Das Außengelände ist rund um die Uhr zugänglich.

Kommt im nächsten Jahr der Kater nach der Feier?
Viele Leute erzählen so einen Quatsch. Gab es Zollverein vor 2010 etwa nicht? Vielleicht werden wir die Besucherzahlen von 2010 nicht erreichen, aber die von 2009 werden wir sicherlich weit übertreffen. Seit 13 Jahren arbeite ich hier, und bislang gab es noch nie einen Besucherrückgang.

Interviewserie „Über Tage“
„Über Tage“ handeln, ohne „unter Tage“ zu vergessen. trailer-ruhr spricht mit streitbaren Menschen über das Ruhrgebiet.


Interview: Lutz Debus

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