Eines wollte Walker Evans (1903-1975) ganz bestimmt nicht: als Fotojournalist verstanden werden. Als er auf seine Tätigkeit als Reportagefotograf angesprochen wurde, muss Evans barsch gesagt haben, das sei nichts für ihn. Das war 1955, und er, den zwei Jahrzehnte zuvor die Kunstwelt gefeiert hatte, fotografierte für die Presse, um über die Runden zu kommen. Später sollte sich alles wieder zum Guten wenden, heute gilt er als einer der großen Fotografen des 20. Jahrhunderts.
Tatsächlich aber gründet der Ruhm von Evans auf Auftragsfotografien. Nachdem er mit Aufnahmen von Schiffstakelagen und auf Tahiti und Kuba ein sachliches „Neues Sehen“ begründet hatte, dokumentierte er für die Farm Security Administration die Große Depression 1935-36 im Süden der Vereinigten Staaten. Diese Aufnahmen sind frei von Sozialkritik und Mitleid. Walker Evans hält vielmehr den gewohnten Gang des Alltags fest. Ein Farbiger steht bilddominant mittig vor dem Ausschnitt eines Holzhauses, den Blick zur Seite gewandt. Eine Straßenzeile, die ausgestorben ist. Eine Siedlung mit Arbeiterhütten. Diese Konzentration ist die große Kunst von Evans, der damit Inkunabeln der Fotogeschichte schuf und die Sicht auf diese Zeit prägte. Er blieb seinem Verfahren der Reduktion auch künftig treu, etwa bei den Fotografien von Menschen in der Subway oder von Architektur, mit denen er zugleich den Wandel der Lebensbedingungen in Amerika konstatiert. Dabei kennzeichnet seine Fotografien eine Spannung, die gerade durch lapidare Details initiiert wird: Daraus wird ein Bild. Im Alter entdeckte Evans das Polaroid und damit die Farbe – und wurde noch spartanischer. Er fotografierte Werbeschilder und Verkehrspfeile auf der Straße, mit denen er wiederum die Malerei seiner Zeit beeinflusste.
2012/13 war hierzulande eine hoch ambitionierte Schau zu Walker Evans zu sehen: in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung in Köln. Aber dieses Werk ist so eindrucksvoll – und im Übrigen auch umfassend – dass nun auch die Ausstellung in Bottrop, die ebenfalls retrospektiv angelegt ist, ein Termin der Pflicht und Freude ist.
„Walker Evans – Tiefenschärfe“ | bis 10.1. | Josef Albers Museum Quadrat Bottrop | 02041 297 16
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