Der Fotograf Michael Wolf hat eine besondere Gabe: Menschen lassen ihn ganz nah ran und rein in Küche und Krankenzimmer – laden ihn sogar zum 100. Geburtstag der Oma ein. Das war schon 1976 so, als Wolf (geb. 1954) noch bei dem Begründer der Subjektiven Fotografie Otto Steinert an der Essener Folkwangschule studierte. Auf der Suche nach dem passenden Sujet für seine soziologisch-dokumentarisch geprägte Abschlussarbeit über Lebensbedingungen in einer Bergmannssiedlung entdeckte der Münchner Bottrop-Ebel und begleitete ein Jahr lang den Alltag der Bewohner. Stadtteil Ebel, abgekapselt zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal, war eine Art Dorf: rund 80 Zechenhäuser aus dem 19. Jahrhundert, jeder kannte jeden, generationsübergreifend.
„Mensch, das ist doch Klaus!“, schallt es heute durch das Bottroper Museum, „und Herbert und Olga …“ Alteingesessene Ebeler tauchen vor Wolfs Fotos noch einmal ein in ihre kleine Welt vor 43 Jahren.
283 Aufnahmen hatte Wolf damals für seine Abschlussmappe zusammengestellt. Etwa 60 davon, ergänzt durch anonyme historische Bilder, wählte der in Hongkong lebende Fotograf, der erst journalistisch, nun als freier Fotokünstler weltweit Karriere machte, für die Ausstellung aus. Emotionale Fotografie in der Tradition von Henri Cartier-Bresson: auf der Jagd nach dem „entscheidenden Moment“. Das perfekte Bild – Wolf fand es beim Bierchen mit Jung und Alt am Kiosk, beim Angeln im Industriehafen, beim Apfelsinentanz im Partykeller, mitten in der Arbeiterküche, wo der Herr des Hauses sein Bad im Bottich nimmt.
Kleine Irritationen werden zu Eyecatchern: Personen, die scheinbar ins streng komponierte Motiv hineinlaufen, Perspektivlinien überschreiten wie die angeleinte Katze mit ihrem Herrchen oder die hinter der cool posierenden Mofagang ignorant vorbeieilende Frau. Fabrikarbeiterinnen schauen konzentriert auf ihrer Hände Arbeit; nur die eine Markante mit der wasserstoffblonden Bienenkorbfrisur greift seitwärts aufs Band. Eine Reihe blütenweiß gewaschener Unterhosen hängt auf der Wäscheleine vor finsterer Hauswand. Manchmal ganz schön trist, doch immer voller Atmosphäre und Nähe.
Eine Welt, die es so nicht mehr gibt, die man aber mit eigenen Erinnerungen füllen kann. Und die auch die berührt, die Herbert und Olga nicht kennen.
Bottrop-Ebel 76 | bis 19.5. | Josef Albers Museum Quadrat Bottrop | www.quadrat-bottrop.de
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