Seit Oktober 2010 ist das Museum Ostwall am neuen Standort im Dortmunder U wieder für das Publikum geöffnet und präsentiert in der vierten und fünften Ebene seine Sammlung. Digitale Medienstationen ergänzen die Kunstwerke und informieren mit Fotografien, Texten, Filmen und Interviews über deren Entstehungszusammenhang. Ein interaktives Forum ist das „Interaktive Bildarchiv“, an dessen Entwicklung die Besucherinnen und Besucher mitwirken können. Die Neupräsentation folgt der Leitidee „Das Museum als Kraftwerk“.
trailer: Herr Wettengl, wo nehmen Sie als Kraftwerksbetreiber kontinuierlich neuen Brennstoff her?
Kurt Wettengl: Die Idee des Museums als Kraftwerk bedeutet, dass wir sowohl Ideen aus der Kunst als auch der Kunstgeschichte als Energie nehmen. Aber auch aus der Jetztzeit. Als Museum verstehen wir uns als Ort der Gegenwart. Als Ort, wo über die Gegenwart nachgedacht wird und dabei aber auch auf die Geschichte zurückgeblickt wird. Wir tun das, indem wir auf die Kunstgeschichte zurückblicken, die bei uns mit dem Expressionismus beginnt und bis in die Gegenwart geht. Den Begriff des Museums als Kraftwerk habe ich aus der Kunstgeschichtsschreibung übernommen. Und zwar gab es einen sehr wichtigen Kunsthistoriker und Museumsdirektor, Alexander Dorner, der in den 1920er und frühen 1930er Jahren das Provinzialmuseum in Hannover geleitet hat, und der hat damals schon gesagt, dass das Museum auch ein Ort sein muss, wo mal ein Film gezeigt wird. Dorner wurde von den Nationalsozialisten vertrieben, er ist dann nach Amerika gegangen und hat dort auch gelehrt.
Die Idee hinterm Kraftwerk?
Ein wichtiger Ansatzpunkt bei unserer Neupräsentation ist, dass wir nicht einer stilgeschichtlichen Abhandlung folgen, sondern neue Wege gehen. Wir beginnen ganz bewusst mit Arbeiten, die den Besucher mit einbeziehen. Man kommt in die Ausstellung rein und hat auf der linken Seite Jochen Gerz „Das Geschenk“. Eine Arbeit, die im Jahr 2000 im Ruhrgebiet entstanden ist und die nicht so entstanden wäre, wenn sich nicht 4.890 Menschen daran beteiligt hätten. Danach kommt Fluxus und Happening und dann gehen wir erst einmal zeitlich zurück über den Nouveau Realisme (Neuer Realismus), Kinetik und Zero.
Manche Museen dienen in letzter Zeit eher als Kunstevent-Maschinen.
Da gibt es natürlich ein deutliches Problem. Die Aufgabe eines Museums ist eben nicht nur, große Ausstellungen zu machen, dafür hat man die reinen Kunsthallen, sondern auch zu Sammeln, zu Bewahren und zu Erforschen. Das ist die eigentliche Grundlage für das Ausstellen hier. Aber heute gibt es mangels Geld und den enormen Kunstmarktpreisen eine große Kluft zwischen den wirklichen Möglichkeiten der Museen zu sammeln.
Erstickt der Kunstmarkt die kommunalen Häuser?
Der Kunstmarkt ist in seinen finanziellen Wertvorstellungen den Möglichkeiten der Museen soweit davongelaufen, dass man kaum noch sammeln kann. Damit reißt auch die Überlieferungsgeschichte, die ja mit Museen eng verbunden ist, allmählich ab. Das bedeutet, dass wir gar nicht mehr so stark in die Vergangenheit sammeln können. Expressionismus oder auch Kunst der klassischen Moderne ist für uns überhaupt nicht mehr zu erwerben. Dennoch wollen wir sammeln und ein wichtiger Ansatzpunkt ist da Happening und Fluxus, weil wir da schon einen Sammlungsschwerpunkt haben. Aus inhaltlichen Gründen wollen wir den verstärken und ins Zentrum rücken. Wir wollen da unsere Sammlung verdichten und damit auch noch mal ein deutliches Zeichen setzen.
Sind private Museen ein zusätzliches Problem?
Es gibt heutzutage immer mehr private Sammler, die sich leider weniger dazu entschließen, ihre Sachen in Museen zu geben. Das ist sehr bedauerlich, denn die städtischen und staatlichen Museen wären genau der Ort für solche Sammlungen. Ich bin froh, dass es immer noch Sammler gibt, die dennoch in diesem mäzenatischen Sinne handeln. Aber seit ungefähr 20 Jahren gibt es immer mehr Sammler, die private Museen aufmachen. Darin sehe ich auch Probleme. Die Museumsidee wurde vom Bürgertum getragen. Museen sind im späten 18. Jahrhundert als eine Institution, die vom Bürgertum getragen wurde, entstanden. Davor gab es den feudalen Kunstbesitz, ausschließlich nach dem Geschmack des jeweiligen Herrschers und mit ganz bestimmten Regularien des Zugangs. Bleibt zu hoffen, dass die Privatmuseen dem bürgerlichen Ideal der Bildung und der allgemeinen Zugänglichkeit gegenüber offen bleiben und dass wir nicht in gewisser Weise so einen Refeudalisierungsprozess haben.
Das neue Museum Ostwall ist jetzt eingebettet in ein städtisches Wahrzeichen. Eine andere Verortung?
Als Museum stehen wir jetzt praktisch vor einer doppelten Aufgabe. Einerseits
haben wir die Erwartung an uns selbst und gleichzeitig wird die Erwartung an uns gestellt, dass wir uns als Museum weiterhin profilieren. Das wollen wir auch tun. Aber unsere Fassade ist identisch mit der des Dortmunder U. Das heißt wir müssen uns als Museum etablieren und gleichzeitig Teamplayer sein. Für ein Museum ist das schon eine ganz besondere Herausforderung und ein ganz besonderer Schritt, der in dieser Form in der Bundesrepublik eigentlich noch nicht gemacht wurde. Insofern ist das auch ein offener, ein experimenteller Prozess, zu dem einerseits das Museum Ostwall, aber eben auch alle Nutzer des U gleichermaßen beitragen müssen.
Aber ist die Kunst nicht eigentlich längst verschwunden?
Die Kunst ist noch nicht ganz verschwunden (lacht). Die Kunst geht aber in vielen Fällen im Alltag auf. Unsere Gegenwart ist so ästhetisch geprägt, es gibt so viele ästhetische Formate in unserer Zeit, dass die Kunst darin teilweise auch untergeht. Je nachdem, wie bewusst Künstler mit ihren Haltungen sozusagen präsent bleiben können und es schaffen etwas in den Alltag einzubringen. Teilweise verschwindet die Kunst aber auch im Design, in der ästhetischen Oberfläche des Alltags. Umso spannender sind meines Erachtens Prozesse, die man als partizipative Projekte begreifen kann, weil es bei diesen Projekten nicht auf die Oberfläche ankommt, sondern eher darauf, wie aus den bloßen Betrachtern auch Teilhaber werden können. Wenn man das so denkt, verschwindet die Kunst möglicherweise auch im Alltag, aber sie versinkt nicht daran, sondern sie gibt uns als Bürger die Möglichkeit sie mitzugestalten.
„Das Museum als Kraftwerk“ | Museum Ostwall im Dortmunder U
Di, Mi 10-18, Do, Fr 10-20, Sa, So 11-18 Uhr
0231 502 32 47
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