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Hoffnungsvoller Optimist: Raphael Fellmer
Fotos: Dominik Lenze

Optimismus als Lebensaufgabe

26. Januar 2016

Raphael Fellmer zum Vortrag und Gespräch in der VHS Essen

Die Entscheidung fiel mitten im Atlantik: an Bord eines Kahns zweier italienischer Kapitäne, die eigentlich weibliche Mitreisende suchten. Stattdessen bekamen sie zwei Neuzeit-Hippies mit einem bemerkenswerten Unterfangen: Trampen bis nach Mexiko – ohne Geld. Einer war Raphael Fellmer: „Bei der Überfahrt wurde mir klar: Das Experiment soll weiter gehen.“ Und das tat es: Fünfeinhalb lebte er im Geld- und Konsumstreik. Über seinen Entschluss, seine Erfahrungen und vieles mehr sprach er im Rahmen der Reihe „Reden von Morgen“ in der Volkshochschule Essen.

Inspiriert von dem geglückten Selbstversuch lebte Raphael Fellmer nahezu geldfrei. Und das auch mit Familie. Freilich, ganz ohne funktionierte es nicht: Mit dem Kindergeld finanzierten sie sich die Krankenversicherung. Aber im Großen und Ganzen spielte der Mammon keine Rolle: Lebensmittel, Möbel, Kleidung – unter den Nützlichkeiten und Schätzen, die wir achtlos wegschmeißen, findet sich mehr als genug, um eine kleine Familie zu ernähren. Und das übrigens vegan. Den Wandel, den sich nicht nur Fellmer herbeisehnt, lebte er schon privat.

Laut dem Berliner Kulturphilosophen Byung-Chul Han findet Ausbeutung heute nicht zwischen Individuen, sondern schon Im Kopf des Einzelnen statt. Ist zeitgemäßer Widerstand dann auch Privatsache? Für Raphael Fellmer auf jeden Fall: Verschwendung begrenzen, für Gleichheit sorgen, eine Solidargemeinschaft schaffen – ist das nicht Sache des Staates? So die Quintessenz mancher Publikumsfragen. „Wir sollten auf keinen Fall auf den Staat warten“, sagt er. Klar, man könne bessere Gesetze für Hühnerhaltung fordern, meint er. „Ich kann aber auch einfach aufzuhören sie zu essen.“

Der Vormittag mit Raphael Fellmer war gut besucht

Das Verhältnis von Staat und Bürger vergleicht er mit dem zwischen Kind und Eltern: Irgendwann ist man erwachsen und braucht Mutti und Vati nicht mehr. „Ich glaube, dass wir eines Tages staats- und nationenfrei leben können. Ich glaube nicht, dass wir das immer brauchen werden.“ Ein wütender Anarchist ist Fellmer jedoch keineswegs. Eher ein schwärmerischer Visionär. Manch einem ist das zu viel: „Will der uns hier bekehren?“, fragt ein älterer Herr, rümpft die Nase und verlässt den Saal. Andere im Publikum schauen mit großen Augen auf zu dem schlaksigen jungen Mann. In der Tat erlebt man selten einen derart kompromisslosen Optimismus. „Den durfte ich von den Menschen lernen, vor allen Dingen während der Reise“, erzählt er. Die Beziehungen zwischen den Menschen seien herzlicher, wenn kein Geld zwischen Ihnen stünde. Andererseits: der Geldstreik ist vorbei. „Ich wollte meiner Familie mehr Stabilität bieten“, erklärt er.

 

„Den Wandel leben, den man in der Welt sehen will“, wie Fellmer es häufig sagt, ist offenbar nicht immer einfach. Auch wenn er der Ansicht ist, niemals Druck von außen gespürt zu haben, wird doch eines deutlich: Wenn Widerstand Privatsache ist, kann er schnell zur Lebensaufgabe werden.

Dominik Lenze

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