Manche Familien sind unfreiwillig verkorkst. Die von Ödipus zum Beispiel. Er, der mythische König, der unwissentlich seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet haben soll, scheitert an der Bewältigung der eigenen Taten. Daraufhin überlässt das von ihm befreite Theben und seine vier Kinder seinem Schwager und gleichzeitigen Onkel Kreon und geht ins freiwillige Exil. Als dann aber Jahre später sein Sohn Polyneikes zu ihm kommt, weil sein Bruder Eteokles sich nicht wie vereinbart mit ihm auf dem Thron abwechseln will, verflucht dieser seinen Sprößling als „allerschlechtesten Sohn“, nur weil der Theben für seinen Vater zurückerobern will. Polyneikes zieht dennoch in den Krieg, um zu seinem Recht zu kommen. Mit vorhersagbaren Folgen: Prompt töten sich die beiden Brüder gegenseitig. Weil Polyneikes der Angreifer war, verbietet der neue und alte König Kreon, diesen „Vaterlandsverräter“ zu bestatten. Womit die Handlung endlich bei Antigone angekommen ist, der standhaften Schwester, die für ihren Bruder alles tun würde und deren Schicksal der antike Dichter Sophokles in einem weltberühmten Drama verarbeitet hat. Das ist nun in einer recht ungewöhnlichen Fassung in Duisburg zu sehen.
Die komplizierte Einleitung ist unabdingbar, um die Handlung von Sophokles‘ berühmter Tragödie „Antigone“ zu verstehen. Immerhin ist sie der Abschluss einer dramatischen Trilogie und das traurige Finale eines Epos, das sich im kleinen Rahmen der Familie mit all dem auseinandersetzt, was die „Ilias“ vor dem Hintergrund eines großen Krieges behandelt. Aber gerade weil das Personal weitaus überschaubarer ist als das von Homers Meisterwerk, lässt es sich in ein Figurentheater übersetzen. Das zumindest versucht die Bühne Cipolla, die in Kooperation mit dem Theater Duisburg das Schicksal von Antigone mit Live-Musik inszeniert, um einige der zentralen Konflikte der menschlichen Existenz zu zeigen: Jung gegen Alt, Mann gegen Frau und Überzeugung gegen Recht. Antigone führt die vorgeschriebenen Totenriten für Polyneikes durch, wohl wissend, dass sie dafür selbst mit dem Tod bestraft werden kann. Was auch geschieht, obwohl die junge Frau die Braut von Kreons Sohn ist. Da ist letzterer stur. Liegt wohl in der Familie.
Antigone | 24. (P), 26.9., 23.11., 25.5. je 19.30 Uhr | Theater Duisburg | www.theater-duisburg.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Musik ist der tiefsinnigste Ausdruck einer Kultur“
Harry Ogg dirigiert in Duisburg „Die tote Stadt“ – Interview 06/23
Der Mythos der Diva
„Adriana Lecouvreur“ in Duisburg – Oper in NRW 01/23
Unstillbare Faszination
„Der fliegende Holländer“ in Duisburg – Oper in NRW 11/22
Schlachten werden nie gewonnen
Die 39. Duisburger Akzente unter dem Motto „Nie wieder Krieg?“ – Prolog 03/18
Was ist das für 1 Life?
TOBOSO mit „SEINS.fiction“ in Essen und Duisburg – das Besondere 02/18
American Dream
Puccinis Japan-Oper „Madama Butterfly“ – Opernzeit 01/18
Kampf der Königinnen
Donizettis Schiller-Oper „Maria Stuarda“ – Opernzeit 12/17
Archäologe des Körpers
Freie Szene in der Oper Köln – Tanz in NRW 09/17
Wenig Andacht bei Rossini
Ballett am Rhein zeigt die „Petite Messe Sollenelle“ – Klassik am Rhein 08/17
Jeder stirbt für sich allein
Donizettis „Lucia di Lammermoor“ – Opernzeit 04/17
Die großen Geschichten bleiben
Das Duisburger Theatertreffen im Rahmen der Akzente – Prolog 03/17
Labyrinth der Klänge
Der neue Ballettabend in Duisburg – Theater Ruhr 01/15
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24