Aber sicher beschäftigen sich die 38. Duisburger Akzente mit der Reformation, die sich 2017 zum 500. Mal jährt. 95 neue Thesen werden da sicher nicht erwartet, der theologische Riss durch Europa ist bis heute nicht vernäht worden. Und die Umbrüche mit denen die alten Ländereinen klarkommen müssen nehmen an Geschwindigkeit zu. Politik, Gesellschaft, Kultur, die Reaktionäre sammeln sich wieder, brüten ihre Lügengeschichte für ungebildete Menschen, was einst mit einem Ablass begann, nennt sich heute lieber alternative Fakten, Fakes waren und sind beide Konstrukte. Reden wir über das diesjährige Theatertreffen in Duisburg.
Wie schlimm es schon steht, kann man bereits am Auftakt sehen. Alles beginnt mit dem „Endspiel" von Samuel Beckett, und die Eigenproduktion des Theaters Duisburg versetzt den Klassiker in eine zeitgemäße Form: Alles ist vorbei, trotzdem machen alle weiter, spielen sich nach genau festgelegten Regeln ein Leben vor, das es nicht mehr gibt. Nun, vielleicht gibt es ja noch den allerletzten Auftrag. Der könnte vom Schauspiel Hannover kommen, das in Duisburg passend Tom Kühnels und Jürgen Kuttners ungewöhnliche Inszenierung von Heiner Müllers „Der Auftrag“ zeigt, die fast alle Texte vom Band abspielen lässt. Das gefiel natürlich nicht allen Göttern im Zuschauerraum, doch sehenswert dürfte die Version sicher sein. Ums Göttliche geht es auch beim Gastspiel des Schauspiels Frankfurt mit dem Heinrich von Kleist-Klassiker „Penthesilea“, inszeniert von Michael Thalheimer. Hier führt das Aufeinanderprallen zweier Heerführer in die Katastrophe, die eigentlich in einer Liebe münden müsste. Doch blinde Ekstase auf dem Schlachtfeld bringt dem unbewaffneten Kriegsheld Achill den Untergang. Wir töten, was wir lieben, erklärte Christa Wolf diesen Mechanismus.
Das trifft vielleicht auch für „Gift“ vom Deutschen Theater in Berlin zu. Auch dies ist die Geschichte einer Liebe, die keine Chance hatte: Aus Anlass einer Grabverlegung treffen sich „Sie“ und „Er“ nach zehn Jahren auf dem Friedhof wieder. Gift soll aus einer nahegelegenen Fabrik ausgetreten sein und die Umbettung der Toten notwendig machen. Sie warten auf jemanden, der ihnen die Ursache und den Ablauf erklärt. Doch niemand kommt, und es beginnt zu regnen. Gibt es Licht am Ende der Friedhofsmauer? Die Niederländerin Lot Vekemans erhielt für den Text 2010 den Taalunie Toneelschrijfprijs. Der wird in Holland für das beste aufgeführte Stück des Jahres vergeben.
Zum Schluss noch das Highlight vom Burgtheater in Wien. Andrea Breth inszeniert „Diese Geschichte von Ihnen“ von John Hopkins. Der Brite (1931-1998) ist eher als James Bond-Drehbuchautor bekannt, oder für seinen Sherlock Holmes mit Christopher Plummer. Mit „Diese Geschichte von Ihnen“ begann 1968 seine Karriere als Theaterautor. Das spektakuläre Psychodrama um einen Polizisten, der einen mutmaßlichen Kinderschänder beim Verhör totschlägt und nach und nach in Zweifel gerät, ob er tatsächlich den Richtigen verhaftet hat, wird beim diesjährigen Theatertreffen nur an zwei Terminen gezeigt.
Theatertreffen „Umbrüche“ | 11.3.-26.3. | Theater Duisburg | www.duisburg.de
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