„Es geht um Yanko, einen in Griechenland geborenen Roma, der nur in meiner Fantasie lebt – zumindest habe ich ihn noch nie getroffen.“ Mit diesen Worten beginnt Anžy Heidrun Holderbach ihre Lesung. Sie bildet den Auftakt für das 2. Gerther Gypsyfestival des Bochumer Kulturrats e.V. im Rahmen der 1. BoBiennale. Das Projekt gegen Antiziganismus unter dem Motto „Nadeshda“ („Hoffnung“) hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen ein Kennenlernen der Sinti und Roma und ihres kulturellen Erbes zu ermöglichen.
An diesem Nachmittag haben sich acht solcher Menschen eingefunden, um Holderbach ihr Gehör zu schenken und auf ihren Romanhelden Yanko zu treffen. Mit ihm tauchen sie ein in die Welt der Sinti und Roma, gehen mit ihm auf die Suche nach der eigenen Identität, nach Liebe und Geborgenheit, blicken in die tiefsten Abgründe und finden schließlich ihren Platz im Leben. Diese Berg-und-Tal-Fahrt wird durch Lieder begleitet, meist in Romanes. So erklingen gefühlvolle Gitarrenklänge und sehnsuchtsvoller Gesang, wenn Yanko sich an seine Kindheit erinnert – an das Wiehern der Pferde und an das grüne Gras auf den Wohnwagenplätzen, auf denen seine Familie aus Zirkusleuten oft haltgemacht hat. Das Publikum versinkt in diese Musik, spürt Yankos Bedürfnis, endlich Wurzeln zu schlagen, eine Heimat zu haben. Es spürt auch Yankos Selbstzweifel, als er durch die romantische Begegnung mit Maria erstmals erahnen kann, wie es sich anfühlt angekommen zu sein, sich jedoch als Romni mit der eigenen Identität konfrontiert sieht.
Während Yanko mit sich hadert, empfängt er von seiner Außenwelt widersprüchliche Signale, was seine Herkunft anbelangt. So wird er als Sänger einer Gypsy-Band gefeiert, jedoch als Roma herabgestuft und gewalttätig angegriffen. Mitfühlend lauscht das Publikum da einem traurigen „Traditional“, das den/die InterpretIn vor Schlägen bewahren soll. Yanko ringt angesichts dieser Erfahrungen lange Zeit mit sich selbst, versinkt in Alkoholprobleme und erlebt schwere Traumata, deren Folgen ihn sein Leben lang begleiten sollen.
Doch Holderbach lässt die ZuhörerInnen nicht nur an Yankos schlimmsten Momenten teilhaben, sondern auch an seinem Schlüsselerlebnis: Ein Traum ist es schließlich, der Yanko mit seiner Zugehörigkeit zu den Sinti und Roma konfrontiert und aussöhnt. Er stellt sich der Frage, die ihn lange beschäftigt hat: Wenn er sich als Roma bekennt und akzeptiert, geht er dann als Individuum im Kollektiv der Sinti und Roma unter, muss sich den stereotypen Vorurteilen stellen? Yanko entscheidet sich schließlich trotz dieser Bedenken dafür, sich als Roma zu akzeptieren. Dieses zum Teil autobiographische Moment hat Holderbach in einer englischsprachigen Eigenkomposition verarbeitet, die sie dem Publikum anrührend, zugleich aber auch stolz und selbstbewusst vorträgt.
Diese Akzeptanz, sogar ein gewisser Stolz auf das „Roma-Sein“, zeichnet Yanko fortan aus und lebt auch in seinen Söhnen weiter. Das Publikum kann nun selbstsichereren Klängen zuhören und spürt in einem munteren traditionellen Kinderlied die Elternliebe, die Yanko erfüllt. Schließlich sieht sich Yanko noch ein letztes Mal mit seiner Identität konfrontiert: Nachdem er niedergestochen worden ist, erhält er die Chance, im Rathaus eine Rede zu halten. Doch wieviel kann er allein schon bewegen? Gespannt verfolgt das Publikum das Zögern Yankos, das dieser im Gespräch mit seinen Söhnen zum Ausdruck bringt. Doch nach einer leidenschaftlichen Ansprache eines Sohnes, dass jeder einzelne Mensch ein Gewinn sei, den Yanko dazu bringen könne, Vorurteile zu hinterfragen, macht sich Yanko auf ins Rathaus – es erklingt eindrucksvoll die Hymne der Roma. Auch Holderbach mag an diesem Nachmittag zwar nur wenigen Menschen einen Teil der Kultur der Sinti und Roma vermittelt haben, aber zumindest diese haben nun neugewonnene Erfahrungen, die sie weitergeben können.
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