In der freien Szene Bochums bewegt sich was. Und zwar seit Jahren. Mit der BoBiennale wurde diesen Sommer erstmals ein Format gefunden, um das kreative Potential der Stadt zu bündeln. Eigentlich war das Ganze längst überfällig: Bochum lebt, vielleicht noch mehr als andere Ruhrgebietsstädte, von seinem kreativen Charme und den jungen Künstlern, die die Quartiere beleben. Glaubt man den Ausführungen zu seiner Bochum-Strategie, sieht Oberbürgermeister Eiskirch das genau so. Dass man sich auf etablierten Institutionen wie dem Bahnhof Langendreer, dem Filmfestival blicke oder den freien Theatern Rottstr 5 und Prinz-Regent nicht ausruhen darf, steht außer Frage. Und genau darum ging es in der Zeche 1, beim Streitgespräch „Bye Bye 80er – Welcome 2030. Wohin geht unsere freie Kulturszene?“
Die 80er als kulturelles Jahrzehnt sind freilich so out wie Koks und so tot wie David Bowie. Was der hiesigen Kulturszene aus diesem für Bochum sehr bewegten Jahrzehnt blieb, sind eben zu Legenden geronnene Institutionen wie der weit über Reviergrenzen hinaus bekannte Bahnhof Langendreer. Das Widerständige liegt dem Bahnhof in den Genen, ist er doch schließlich aus einer Hausbesetzerbewegung heraus entstanden. Wer weiß, was noch aus der kürzlich besetzten Herner Straße 131 wird, im Jahr 2030? Gerd Spiekermann vom Bahnhof ließ für sein Haus jedenfalls verlauten: „Wir denken noch nicht darüber nach, was 2030 ist.“ Dabei dachte er auch an die wechselhafte Entwicklung des Kulturbahnhofs: „Wir mussten uns im Laufe der Jahre mehrfach neu erfinden, auch hinsichtlich unseres Stellenwerts für die Stadt Bochum“, sagte er. Mit in der Diskussionsrunde saß auch Gabi Hinterberger vom Filmfestival blicke. Was sie aus bald 25 Jahren Filmfestival-Erfahrung zu berichten weiß, ist paradigmatisch für viele freie Projekte: Es ging um Unsicherheiten bei der Förderung, um mangelnde Kontinuität bei den Mitarbeitern, die allzu schnell ihr Studium beenden und in eine andere Stadt weichen. Zum Beispiel nach Berlin. Geht es in Bochumer Gesprächsrunden um die freie Szene, ist das eine der Urängste der Beteiligten: Wenn wir hier nix machen, hauen die jungen frischen Geister doch einfach in die Hauptstadt ab, dem vermeintlichen Mekka der freien Künstler, der Ort an dem David Bowie lebte und Koks bis heute nicht out ist.
Künstler oder Orte fördern? Das ist eine der Kernfragen des Abends gewesen: Wie hält man die jungen Kreativen in der Stadt? Wie verhindert man, dass Bochum bloße Durchgangs-Station bleibt? Dabei geht es nicht nur um die Erfahrungen der Alteingesessenen, sondern um ganz konkrete Dinge wie finanzielle Förderung und Freiräume. An dieser Stelle schaltete sich Stadtratsmitglied Hans Hanke (SPD) in die Diskussion ein. Sein Statement: „Wir fördern nur. Was sich daraus entwickelt, darauf haben wir keinen Einfluss.“ Als Kulturpolitiker stelle er sich eher die Frage: „Wo kommen die kleinen Künstler her?“ Darüber nachzudenken sei nicht Aufgabe der Stadt, warf Gerd Spiekermann ein. „Die Künstler sind vor Ort. Wir haben heute in keinem Bereich ein Nachwuchsproblem“, stellte er klar. Aufgabe der Stadt sei es eher, die materiellen Bedingungen zu schaffen, damit Künstler arbeiten können. An dieser Stelle mündete die Diskussion in der Gretchenfrage: Wen oder was will man fördern: einzelne Künstler, Gruppen oder offene Spielorte, sprich: die kreative Infrastruktur?
Lauscht man den warmen Worten von Politikern, klingt es oft so, als sei es das einfachste der Welt, als Künstler Förderung zu beantragen und zu bekommen. Pia Alena Wagner, freie Künstlerin im noch jungen atelier automatique, kennt das anders: „Wir haben da eine andere Realität, was Kulturförderung angeht: Es gibt da nunmal ungeschriebene Regeln“, sagte sie. Dazu gehöre, dass man zwar schon bekannt sein müsse, um auf Förderung zu hoffen, allerdings nicht zu bekannt. Im atelier automatique, sagte sie, müssten alle Beteiligten noch nebenbei arbeiten, um ihre Kunst zu finanzieren. Allen Lippenbekenntnissen lokaler Politiker zum Trotz, die (wahrscheinlich sogar ernsthaft) die Vision verfolgen, aus Bochum eine Art zweites Leipzig zu machen: Genau das ist die Lebensrealität vieler freier Künstler. Das heißt, genau jener Menschen, die das Rückgrat und die Basis eines neuen, urbanen und kreativen Bochums werden sollen, nein müssen. Künstlerinnen wie Wagner klingen daher ebenso kämpferisch wie resigniert: „Uns ist schon klar, dass wir auf uns selber gestellt sind. Das ist ein hartes Business.“
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