„Die Kontrollfunktion der Medien“ war es, die Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel im Zirkuszelt zur Begrüßung nicht nur betonte, sondern auf ihre aktuelle Umsetzung abklopfte. „Wichtiger denn je“ sei heute die Presse als „Qualitätsinstanz“, betonte das Oberhaupt der diesjährigen Gastgeberstadt im Zelt des Medienpartners Rheinische Post. Das klang durchaus nach Forderung: Qualität als journalistisches Plus im Dickicht des virtuellen Wirrwarrs. Anders setzte David Schraven den Fokus: „Wir müssen wieder Maß und Mitte finden“, formulierte der Geschäftsführer von Correctiv, dem Recherchenetzwerk, das das Festival organisiert hatte. „Orte für Debatten finden“, galt ihm als Grundgedanke gerade im Bild des Campfire im Namen, also des diskursfördernden Lagerfeuers.
Doch Lagern heißt auch Abhängen im guten Sinn. Trockene Qualitätskriterien waren keineswegs Dauerthema auf den zwei Hauptbühnen und fünfzehn Programmzelten, die die Rheinwiese am Landtag übersäten. Und Auskunft zu diversen Themen und Interessen konnte jeder Besucher nach Gusto beim Schlendern und spontanen Niederlassen finden. Daneben einige Podiumsdiskussionen wie der Termin gleich nach der Eröffnung: „Journalisten als Marke – wie viel Selbstvermarktung vertragen die Medien?“ Zwei unverwechselbare Marken der Branche führten denn auch aufs Schönste vor, wie man sich heute professionell vermarktet. Kai Diekmann, bis Ende 2015 Chefredakteur der Bild, traf auf Gabor Steingart, der seinen Posten als Herausgeber des Handelsblatts in diesem Frühjahr räumen musste.
Diekmann ist als Schlagzeilenfachmann allgemein bekannt bis berüchtigt. Steingart liefert mit seinem „Morning Briefing“ seinen Abonnenten täglich eine aktuelle Glosse ins Mailpostfach. Gestolpert war er über einen Text gegen Martin Schulz, der den „perfekten Mord“ an Sigmar Gabriel plane. „Marke“, möchte man sagen, hieß bei beiden dann auch: markantes Austeilen, markige Worte. Was ja gewählt und treffend einschließen kann, wie sich hier bestätigte: Steingart, einst auch beim „Spiegel“, erinnerte, früher seien Artikel ganz ohne Autorennamen erschienen, dann mit zaghafter Nennung, bis hin zur starken persönlichen Präsenz heute: „Der Journalist wird kenntlich.“ Überhaupt nie spreche heutzutage einfach „die Redaktion“. Und auf „Maß und Mitte“ angesprochen, kam entwaffnend der Konter: „Gibt es bestimmt, aber das bin nicht ich.“
Ähnlich ehrlich bekannte sich Kai Diekmann zur Selbstdarstellung der Presse: „Medien inszenieren sich, und ich habe nichts dagegen.“ Bei seinem Auftritt war zu erkennen, dass er gewohnt war, mit Massen umzugehen – und die gibt es nun mal auch im Zirkuszelt. Gewinnende Pointen trafen auf abgeklärte Kommentare zum Verhalten des Campfire-Publikums: Als der Ex-„Bild“-Mann seinen Kolumnisten Franz-Josef Wagner als Marke ins Spiel brachte, erhob sich spöttisches Raunen – Diekmann ruhig: „Das beweist ja, wie bekannt er ist.“
„Journalismus“ als Marke hingegen, das Metier also, oder andere Fragen, inklusive dem Aspekt „digitale Zukunft“, Teil des Campfire-Mottos: Derlei klärte sich gern auch spontan auf den Wiesen. Da mochten auf der Correctiv-Bühne Vertreterinnen junger Unternehmen Einblick in moderne Arbeitsformen geben (Moderation: „Ihr versucht den Status des permanenten Start-Ups beizubehalten“) und „Faktenchecker“ ihren Anspruch benennen („Wir wollen weg vom Narrativjournalismus und daran erinnern, zu hinterfragen.“). Immer klarer wurde, dass Campfire zum Glück weniger eine Open-Air-Tagung ist als ein offenes Event für vieles, was mit Medien zu tun hat. Auch für Polit-Talk – wobei beim Plausch zur Inneren Sicherheit dem Polizeivertreter vielleicht etwas viel Raum zur Werbung für das neue Polizeigesetz gegeben wurde.
Steingart und Diekmann hatten zum Medienalltag eher punktuell Einblick gegeben; digital affin sind ja jedenfalls beide. Nicht zuletzt zeigten sich beide aber als Talente in Eigen-PR. Marken, war da zu lernen, transportieren Eigenschaften über temporäre Positionen hinaus – so mochte man Steingarts Äußerung zur eigenen Wertschätzung übersetzen: „Der Respekt verschwindet nicht, wenn die Visitenkarte sich verändert.“ Und Diekmann gelang sogar das Kunststück, eine Bitte um Selbstkritik zum Eigenlob zu nutzen. „Was war Ihr größter Fail?“ war die Frage der Moderation, und nach zerknirschter Bewertung seiner Gerichtsklage gegen die taz verkündete er selbstzufrieden: „Aber ich habe es ihnen heimgezahlt.“ Erfolgs-Episode, Applaus, Lacher. Irgendwie ja doch ein cooler Hund, sollte sich vermitteln und tat es auch. So eine Marke weiß halt, wie man's macht.
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