Die rechtswidrige Abschiebung des Sami A. aus Bochum, der Rücktritt der Ministerin Christina Schulze Föcking und der Umgang mit den Geschehnissen in der Silvesternacht 2015/16 gehören zu einer Reihe von politischen Skandalen, die in Nordrhein-Westfalen für Gesprächsstoff sorgten und immer noch sorgen. Beim Campfire Festival für Journalismus und digitale Zukunftsthemen in Düsseldorf diskutierte am 1.9. eine Runde von NRW-Korrespondenten großer Tageszeitungen über den medialen Umgang mit solchen Themen.
Im Gespräch mit Moderator Bastian Schlange vom Recherche-Netzwerk Correctiv, das das Campfire Festival veranstaltet, hob Tobias Blasius (Funke Medien) die aus seiner Sicht besondere Bedeutung des Falls Sami A. hervor. „In acht Jahren in Düsseldorf habe ich etwas Vergleichbares noch nicht erlebt, weil wir es hier mit einem Streit der Gewalten untereinander zu tun haben.“ Stein des Anstoßes ist die Tatsache, dass die Landesregierung die Abschiebung des als Gefährder eingestuften Tunesiers in dessen Heimatland angeordnet hatte, ohne den Ausgang eines beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dazu anhängigen Verfahrens abzuwarten. A. muss nun nach Bochum zurückgeführt werden. Kirsten Bialdiga (Rheinische Post) wies in diesem Zusammenhang auf die Aussagen von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hin, wonach die Gerichte auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung achten müssten. Damit hätte er für zusätzliche Brisanz gesorgt. Blasius berichtete von Meinungsäußerungen seiner Leser, die ebenfalls Unverständnis über die voraussichtliche Rückkehr des Abgeschobenen geäußert hätten. Reul, der sich inzwischen für seine Äußerungen entschuldigt hat, habe wohl das Richtige gemeint, aber die falsche Rhetorik benutzt. Die Wortwahl habe zu sehr an das „gesunde Volksempfinden“ aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.
Die Aufgabe der Journalisten sei es, den systemischen Hintergrund zu vermeintlich unpopulären Entscheidungen wie im Fall Sami A. zu erklären, sagte Blasius. Die Kommunikation mit den Lesern spiele dabei eine wichtige Rolle, ergänzte Bialdiga. Mitunter seien den Medienvertretern allerdings die Hände gebunden, wie zu Beginn der Aufbereitung der Silvesternacht in Köln 2015/16, in der es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen im Umfeld des Hauptbahnhofs gekommen war. „Das große Problem war, dass der Presse die Informationen gar nicht vorlagen“, kommentierte
Kristian Frigelj (Welt), „auch ich als Korrespondent habe zwischen dem 1. und 3. Januar nicht nachvollziehen können, was passiert ist.“ Bialdiga wies in diesem Zusammenhang noch einmal auf die umstrittene Rolle des damaligen Innenministers Ralf Jäger (SPD) hin. Er hätte die tatsächliche Tragweite der Ereignisse bereits am Silvesterabend einschätzen können, die Öffentlichkeit aber erst am 4. Januar informiert. „Es ist ein Irrglaube, dass man ein Thema heruntergekocht bekommt, wenn man sich versteckt“, kommentierte Blasius.
Diese Devise sahen die Journalisten auch im Fall der CDU-Politikerin Christina Schulze Föcking bestätigt, die nach nur einem knappen Jahr als Umwelt- und Landwirtschaftsministerin zurücktreten musste. Nach einem TV-Bericht über
mutmaßliche Verstöße gegen den Tierschutz im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Schulze Föcking und der umstrittenen Abschaffung der Stabsstelle Umwelt- und Verbraucherkriminalität war die Ministerin unter Druck geraten. Es folgte eine Meldung über vermeintlich „kriminelle Eingriffe“ in die Privatsphäre der Ministerin, die auch vom Regierungssprecher so bezeichnet wurden. Angeblich war das Fernsehgerät Schulze Föckings gehackt worden, was sich jedoch letztlich als technischer Bedienfehler herausstellte. Obwohl diese Erkenntnisse vorgelegen hätten, seien die ursprünglichen Aussagen zunächst nicht korrigiert worden. Daraus sei der Eindruck entstanden, dass das Thema „Hacker-Angriff“ absichtlich hochgespielt werde, um die Ministerin bei anderen Themen aus der Schusslinie zu nehmen, befand die Journalisten-Runde beim Campfire Festival. Schulze Föcking sei in erster Linie über sich selbst gestolpert, sagte Tobias Blasius. Die richtige Reaktion auf die Berichte über angebliche Missstände in dem landwirtschaftlichen Betrieb wäre seiner Ansicht eine mediale Offensive gewesen. „Sie hingegen hat die Türen zugemacht und sich im Landtag um Kopf und Kragen geredet.“ Kirsten Bialdiga fasste zusammen: „Die meisten Menschen, die in einen Skandal involviert sind, fahren am besten damit, wenn sie zu Beginn alles offenlegen.“
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